02. Jul 2017

Das Rätsel der Nagellackflasche – Mach Dich nicht so schön, Kind! und – als Peter Cäsar Gläser mich wegen einer Nagelschere verlassen wollte…

Dieses Bild ist von 1982. Da hatte ich noch meine berühmten Zöpfe, hier als sogenannte Rattenschwänze, wie das damals hieß. Dazu ein – nun ich würde sagen – beinahe operettenhaftes Kleid, in Schwarz, das ich aber eben auch in der Küche trug. Komisch, dass auf allen Fotos aus dieser Zeit Bierflaschen herumstehen, wahlweise auch Weinflaschen, fast immer eine Nagellackflasche, wie hier. Ich überlege, ob Nagellackflaschen in der DDR immer so aussahen, vielleicht kann mir jemand aushelfen – mit Nagellackflaschenerinnerungen.

Was mir noch einfällt: Es war die Zeit, als meine Mutter, nachdem mein Vater 1977 bei einem Autounfall tödlich verunglückt war, das erste Mal mit ihrem „neuen“ Mann bei uns erscheinen wollte. Ich sagte ihr zu, dass ich die beiden vom Hauptbahnhof in Leipzig abholen werde. Sie raunte verschwörerisch ins Telefon: Elisabeth, bitte mach Dich nicht so schön! – Gut, mach ich – nicht. – Ich ging also ungeschminkt und lässig gekleidet auf den Bahnhof und harrte der Dinge. Aus dem Zug stieg meine Mutter mit – meinem Vater! Nein, das konnte nicht sein. Er war ja begraben – auf dem Magdeburger Westfriedhof. Dieser Mann, neun Jahre jünger als meine Mutter, sah – nun ja, von Weitem… – aus wie mein Vater! Später habe ich gelesen, dass viele Frauen, vielleicht auch Männer, nach Verlust eines Partners zielstrebig etwas Ähnliches suchen. Ich muss sagen, dass auch ich nicht frei davon war. Als mich die erste große Liebe verließ, ich, dem Selbstmord nahe, lange Zeit brauchte, um überhaupt über eine neue Partie nachzudenken, dann aber doch – Ausschau hielt…. welchen Männern schaute ich nach? Genau. Den Typen, die aussahen, wie der mich schmählich verlassen Habende. Seltsamerweise sah er aus wie Eberhard Esche, der berühmte DDR-Schauspieler. Das erklärt vielleicht meine temporäre Groupie-hafte Begeisterung für Esche, der, wie ich heute höre, nachdem ich beinahe dreißig Jahre in Berlin lebe, ein leichtes Sächsisch sprach. Vielleicht auch das eine heimatliche Anmutung, die ich damals aber (noch) nicht an mir bemerkte.

Zurück zum Bild. Nagellack. Ich habe bis zu meinem 38. Lebensjahr grundsätzlich immer meine Fingernägel abgeknabbert. Ja, bis aufs Blut, bisweilen. Ich hatte es einfach nicht im Griff. Sah ich einen spannenden Film, las ich ein interessantes Buch oder führte ich eine verbale Auseinandersetzung – ich beraubte mich der Fingernägel, ehe ich es versah. Klingt lustig, war es aber nicht. Nichtsdestotrotz, in jungen Jahren will frau schöne Fingernägel. Heute geht sie ins Nail-Studio und lässt sich halt künstliche draufpinnen. Aber damals half nur roter Nagellack auf die Restbestände. Ich tat das. Und schwor mir jeden Tag aufs Neue, diese frustrierende Kauerei sein zu lassen. Der Mann meines damaligen Lebens, Peter Cäsar Gläser, trieb mich beinahe täglich dazu, den Schwur zu brechen. Auf dem Foto sieht man das natürlich nicht. Denn ich blicke nicht stumm auf dem ganzen Küchentisch herum, sondern parliere anscheinend lieb und nett mit den anwesenden Gästen, die man nicht sieht. Aber die waren da. Ganz bestimmt. Wie sie immer da waren. Ein paar Monate später habe ich mir mit einer Nagelschere (Nagel!) die Haare abgeschnitten. Es war Anfang 1983. Es war die Zeit der Punks, die gerade angebrochen war. Die Punks – in Gestalt der Leipziger Band „Wutanfall“ – probten in unserem Keller – und ich wollte auch so ein Punk sein. Oder irgendwie zu denen gehören. Ich war noch nicht konservativ, sondern träumte vom Fortschritt. Und der Fortschritt hieß damals: Weg mit den Hippies, her mit den Punks. Alte Zöpfe ab. Peter sagte: Wenn Du Dir die Haare abschneidest, verlasse ich Dich! – Ok, das will ich wissen! – Ich nahm die Schere und stellte mich vor den Spiegel. Peter verließ das Haus. Und kehrte irgendwann nachts zurück. Die Zöpfe waren ab. Es sah irgendwie cool aus. Natürlich haben wir das 1983 nicht gesagt. Denn „Cool“ gab es noch nicht. Die Zukunft lag noch vor uns.

Foto: Ich – noch mit Rattenschwänzen kurz vor der Umgestaltung.


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