24. Dez 2021

Weihnachten in Familie

Den Weihnachtsmann hab ich nie gesehen. Ich hörte ihn immer nur klopfen. Vermutlich klopfte mein Vater heftig an die Küchentür, scharrte mit den Füßen und dann ging er. Der Weihnachtsmann. So sollte ich glauben. Ich aber machte mir Gedanken, wie er hineinkommen ist. Nur kurz. Denn jetzt kam die Bescherung! Für die wir unsere Sonntagssachen anzogen. Ja, in meiner Kindheit gab es diese besondere Kleidung, die den Sonntagen vorbehalten blieb.

Ich vertrieb mir den ellenlangen Heiligabend-Tag meist mit Fernsehen. Es gab – natürlich im DDR-Fernsehen – die extralange Sendung mit Meister Nadelöhr, dem Briefträger und dem Schneemann. Sie unterhielten sich meist über irgend etwas, was ich nicht so gern sah. Aber Filme! Es gab vorzugsweise Trickfilme. Am liebsten sah ich Zeichentrickfilme. Die waren am seltensten. Weniger gern Puppentrickfilme, die waren mir zu langsam. Noch weniger gern Scherenschnittfilme, die waren mir zu schwarz-weiß und oft auch irgendwie gruselig. Dennoch freute ich mich jedes Jahr auf diesen langen Nachmittag in der „Schneiderstube“. So viel Zeichentrick war sonst das ganze Jahr nicht.

Gegen 17.00 Uhr beendete meine Mutter diese Weihnachtsvorfreude mit dem Ruf: Bescherung! Dann legte sie noch schnell die Schallplatte mit dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach auf und wir durften „rein“ – ins „Arbeitszimmer“, dort fand die Bescherung statt, während meine Mutter das Weihnachtsoratorium enthusiastisch dirigierte.

Geschenke, an die ich mich erinnere, waren ein Puppenhaus mit Beleuchtung und Möbeln. Und natürlich Puppen. Ein Kaufmannsladen mit Kasse und kleinen Waschmittelpaketen. Immer wieder viele Kinderbücher und – zu dieser Zeit nicht so beliebt – Pullover, Hosen, Kleider oder Schals und Mützen. Das schönste Geschenk meiner Kinderzeit waren ungefähr fünfzehn (alte) Puppen, für die meine Großmutter neue Kleidung genäht hatte. Kleider, Röcke, Blusen, Mäntel, Mützchen und Unterwäsche. Sie saßen alle nebeneinander auf dem Schrank und warteten auf mich. Unvergesslich schön! – Später wollte ich selbst Kleider, Röcke, Mäntel, Mützen und Unterwäsche. Und Bücher, Bücher, Bücher.

Lesen war schon als Kind meine Lieblingsbeschäftigung und ist es bis heute geblieben. Was wir am Heiligabend gegessen haben, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall setzte sich mein Vater immer schnell in die Küche ab und saß vor dem Ofen und beobachtete die Gans und später die Pute mit „siebenerlei“ Fleisch, von dem zu Schwärmen meine Mutter nicht müde wurde. Sie war ja auch unser liebstes DDR-Propagandaopfer. Denn Puten sollten wir lieben, weil Gänse knapp waren, zu dieser Zeit. Die Pute also – gab es erst am nächsten Tag. Mir hat so eine DDR-Pute nie sonderlich geschmeckt. Und als ich erwachsen war, wechselte ich wieder zu Gans oder Ente.

Tradition war es bis zu Corona, dass sich die ganze Familie zu Weihnachten – entweder bei mir oder meiner Schwester – trifft. Oft kamen noch Freunde hinzu und Freunde der Kinder. So ist es schon passiert, dass wir um die fünfzig Weihnachtsfeierer waren. In diesem Jahr sind wir Corona-Menschen, die sich zur Heiligen Nacht an verschiedenen Orten versammeln. Ich bleibe, wo ich bin und hoffe auf andere Zeiten.

Zurück zu den Zeiten des ahnungslosen Glücks: Gestritten haben wir nie – obwohl wir eine sehr diskussionsfreudige Familie sind. Einmal – das war noch in Leipzig – brachte meine Mutter ihren neuen Mann mit. Peter und ich schauten in der Küche in die Röhre nach der Gans und sie fiel heraus – aus dem Ofen – auf den Teppich. Wir hatten ein paar Tage zuvor die komische Idee, in der Küche einen Teppich auszulegen. Den konnten wir nach diesem Fettsturz entsorgen. Der Neue war total verblüfft, dass wir alle nur lachten. In seiner Familie wäre so etwas der Beginn eines schrecklichen Abends gewesen, meinte er. Außer, dass ein Schwibbogen abbrannte, kann ich mich an nichts Schreckliches erinnern. Und denke gern an all die Weihnachtsfeste und besonders auch an die, die nicht mehr unter uns sind. Ich hoffe, dass spätestens 2022 wieder ein Fest meiner Familie wird. Wenn es – nach Datenlage – auch ein irrationaler Wunsch ist…


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