05. Nov 2014

Das Leben der Uhrenkoffer-Anderen

Soeben tauchte bei einem großen Internethändler ungefragt ein Uhrenkoffer auf,  aus den Tiefen der Angebote sprang er mir ins Auge. Hübsch sah er aus. Bis dato wusste ich nichts von der Existenz dieses Aufbewahrungskleinods. Ich sollte über Uhrenkoffer nachdenken. Wer hat einen Uhrenkoffer?

Ich würde fast um mein Leben wetten: In meinem Familien- und Freundeskreis keiner. Bei denen, die mir in Arbeitszusammenhängen über den Weg laufen, bin ich mir nicht ganz sicher. Warum hat dieses Utensil menschlicher Sammelleidenschaft und vornehmen Luxus bisher an keiner Stelle mein Leben gekreuzt? Nun gut, jetzt hab ich den Uhrenkoffer in meinen Gedanken. Edel und gediegen. Solide und zeitlos.  Vielleicht wie sein Besitzer. Der hat auch ansonsten „alles“, würde meine Oma sagen.

Morgens nach einer Dusche in seinem Designerbad schreitet er zu seinem Designerkleiderschrank, zieht sich seinen Designeranzug an und setzt sich an seinen Designerküchentresen, um seinen – ja welchen – Kaffee zu trinken. Er wird weitere wichtige Dinge tun, vielleicht seine Mails checken und eine Scheibe Toast mit englischer Marmelade, die auch einen speziellen Namen hat, verzehren. Ja, verzehren. Das passt.

Noch ein Blick ins Handy und zwei in den Uhrenkoffer. Fünfzig Uhren. Für welche wird er sich heute entscheiden? Ich zähle die Marken nicht auf,  natürlich sind es Marken, die sich drinnen aneinander reihen. Fünfzig Uhren. Da braucht es den Uhrenkoffer. Wenn der Uhrenkofferbesitzer jeden Tag eine andere „anlegt“, vergehen beinahe zwei Monate, um das Reservoir auszuschöpfen.

Ich stelle mir vor, wie er sich einen zweiten Uhrenkoffer kauft und vielleicht noch einen dritten. Uhrenkoffer – ich hab gegoogelt – gibt es in so großer Zahl und in X-Varianten, dass mir schwindelt. Ich möchte einen Uhrenkofferbesitzer kennenlernen. Ein bisschen mit ihm über das Leben fachsimpeln. Vielleicht kann ich von so einem Uhrenkofferliebhaber etwas lernen. Leider wird das nicht passieren. Es scheint da eine Grenze zu sein, die ich niemals überschritt, überschreite und überschreiten werde.

Dort, jenseits des Uhrenkoffer-Äquators, wohnen sie. In ihren Uhrenkofferbesitzerschlössern. Ihr Leben ist ausgefüllt bis aufs letzte Uhrenkästchen. Wahrscheinlich haben sie schon als Kind gewusst, dass sie dereinst einen Uhrenkoffer besitzen werden. Das ist es. Ich könnte jetzt säuseln, dem Glücklichen schlägt keine Stunde. Und bin dennoch untröstlich.


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