08. Dez 2014

Der diskrete Charme der Jahresendflügelpuppe.

Habt Ihr in der DDR überhaupt Advent gefeiert? Fragt mich meine Freundin, für die die DDR ein fernes unbekanntes Land ist. In einem Land, in dem Religion „Opium fürs Volk“ sein sollte, keine unberechtigte Frage. Dieses Opium wurde nicht gern verteilt. Meine Frohe Botschaft lautet dennoch: Es gab Weihnachten. Es gab den Advent. Natürlich sprach man seltener von Jesu Christi Geburt. Auch das Wort Christkind tauchte in offiziellen Verlautbarungen nicht auf. Es sei denn, man ging in die Kirche.

Ja, es gab Menschen, die gingen an Weihnachten in die Kirche. Sich das Krippenspiel anschauen. Auch Engel gab es in der DDR. Und damit meine ich die figürlichen Darstellungen, denen man unterstellt, „Jahresendflügelpuppe“ oder „Jahresendflügelfigur“ geheißen zu haben. Noch steht der Beweis dafür aus. Das Gerücht in Bezug auf diese politisch-motivierte sprachliche Entgleisung hält sich aber hartnäckig. – Ich habe Engel gekauft. Aber sie hießen – Engel. Wir wussten, was ein Engel ist. Klar gab es Sprachverordnungen. Wie es sie heute auch gibt. Es gab Tabu-Wörter, wie es sie heute auch gibt. Zunehmend stelle ich fest, wie sehr die Sprachzwänge in den Gefilden der heutigen „Freiheit“ denen der Sozialismus-Aufbauer ähneln.

Der Wahn, missliebige soziale Umstände mit Worten zu kurieren, treibt lächerliche und auch ärgerliche Blüten und Auswüchse. Folgt mir „Zurück in die Zukunft“: Ja, wir hatten eine eigene DDR-Sprache, eigene Wortschöpfungen vom Akten-Dully bis zum Weich-Container, wobei dieser – es sollte ein Sack sein – wahrscheinlich auch ins Reich der Legenden gehört. Wir hatten das labberige Malimo – ein Stoffgewirk, erfunden von Heinrich Mauersberger aus Limbach-Oberfrohna im Erzgebirge – wir hatten Broiler, Dispatcher und den Klassenfeind. Wir hatten Wandzeitungen, das „Abkindern“ eines Ehekredites und die Bück-Ware unter den Ladentischen.

Die Liste der DDR-Wort-Eigenarten ist lang. – Zurück in den Advent. Zurück zur Jahresendflügelpuppe. Erklärt wird deren angeblich verordnete Existenz mit der Religionsfeindlichkeit des DDR-Systems. Die war zweifelsohne vorhanden. Trotzdem gab es Kirchen und Pastoren. Gab es Gemeinden. Gab es ein Theologiestudium an den Universitäten. Auch wurde Weihnachten nicht abgeschafft, wie beispielsweise in der Sowjetunion. Die strich kurzerhand den Heiligen Abend – der ohnehin wegen der Kalenderverschiebungen erst im Januar war – und ließ stattdessen das Jolka(Tannenbaum)-Fest an Sylvester feiern. Mit Väterchen Frost und Snegurotschka – dem Schneemädchen, ein Engelersatz.  Väterchen Frost – ein Ersatzweihnachtsmann.

Wir aber behielten den richtigen Weihnachtsmann –  alter ego des Christkindes. Und behielten den Heiligen Abend, den man getrost so nennen durfte,  auch den 1. und 2. Weihnachtsfeiertag mit Gänsebraten, Geschenken und Verwandtschaft. Davor  Advent, Adventskränze und vier Kerzen darauf. Klar, es wurde kaum darüber gesprochen, was das Weihnachtsfest bedeutet, aber verboten war es nicht. Klar, Engel waren nicht unbedingt die Favoriten am Weihnachtsabend. Aber verboten waren sie nicht. Und der Begriff Jahresendflügelpuppe wäre zwar irgendwie passend gewesen – so als DDR-Ersatzsprache – wie heutzutage ein Winter- oder Lichterfest statt eines Weihnachtsmarktes. Aber ich verweise diese Wortschöpfung ins Reich der Legende. Ich habe das in meiner DDR-Lebenszeit niemals gehört.

Meine Mutter übrigens – die große Kommunistin – legte am 24. Dezemberabend zu Beginn der „Bescherung“ stets die Schallplatte mit dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach auf und dirigierte eigenhändig „Jauchzet, frohlocket…“  ich seh‘ sie heute noch vor mir. Und weiß – dass das Heilige nicht verbietbar oder ausrottbar ist, dass es sich immer wieder durchsetzt. Menschen brauchen das Heilige neben dem Profanen. Zu Weihnachten ganz besonders.


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