11. Jul 2021

Die Küche als Kulturindikator

Irgendwann in meinem früheren Leben habe ich ein Interview mit einem amerikanischen Professor gemacht. Er sagte, dass er schon überall war, auf jedem Kontinent, in jeder größeren Stadt, die man so kennt. Er habe festgestellt, dass er immer bei den Leuten, die er dort kannte, in der Küche gesessen und sich sehr wohl gefühlt habe. In der Küche quatschen und sonst nicht viel mehr, in den USA, in Australien, in Berlin und sonst irgendwo. In der Küche quatschen, etwas Schönes essen und trinken. Das wäre überall wundervoll. Er kenne die Länder und Städte im Grunde nur durch die Küche seiner Freunde. Denn er habe kein Bedürfnis gehabt, rauszugehen und Besichtigungen zu absolvieren. Schon damals dachte ich: Du bist genauso wie ich! Aber ich sagte es nicht. Schon damals dachte ich an Küchen, in denen ich glücklich war. Kindheitsküchen. Großmutterküchen. Schon damals dachte ich an Küchen, die immer den Teil einer Party meiner Jugend und auch später ausmachten. Küchen, in denen sich alle drängten und wie die Sardinen miteinander parlierten oder sich anderweitig näher kamen. Küchen haben eine Anziehung, die noch eines anderen Beitrages bedarf. Nur so viel: Küchen sind Kultur. Küchen sind wundervoll, sind ernüchternd, sind eklig. Alles. Können höchstes Glück und vollkommene Ordnung symbolisieren und – auch verkommen und verdreckt sein. Aber von diesen unküchenhaften Küchen rede ich jetzt nicht. Ich huldige der großartigen Küche, die es in allen Ländern gibt. Küchen. Sie sind die Tränke, die alchemistische Verquickung. Sie sind der Ausgangspunkt – in das Leben – da draußen. Sofern man es will. Wir können dort auch ein Leben lang verharren. Und ich verurteile das nicht. Im Gegenteil. Oder gehen.


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