14. Jun 2021

Meine unmöglichen Geschenke.

Wenn die österreichische Freundin einen runden Geburtstag hat, muss es was Besonderes sein. Meine Fleurop-Rosen über die Grenze waren der Reinfall nach dem Reinfall. Denn neben Rosen sollte es noch etwas Besonderes sein. Ich wollte nach den Sternen greifen. Meine Freundin ist auch – Astrologin. Was Astrologisches! Amulett. Buch. Horoskop. Ich exerzierte im Kopf alle Sternbilder durch: Ich kann ihr keinen Widder schenken. Keinen Stier und keinen Zwilling. Einen Krebs würde sie nicht wollen, ein Löwe hielte sich schlecht im bürgerlichen Haus. Ein Schütze? Mhm, klingt nach Schützenfest. Wein, Weib, Gesang. Wir haben Corona! Außerdem ist die Zeit der Schützen im reiferen Alter vorbei, die nimmt man ja nur an die Hand, wenn es brennen soll. Ein Aquarius! Der wäre zu hippieesk, eher was für mich. Mir fiel ein, dass die Freundin einst zu mir sagte: „Wie kann man nur sein Ladengeschäft „Scorpio“ nennen! Wir schlenderten bei einem ihrer Besuche in Berlin durch meine Straße, die als die Second-Hand-Straße in Charlottenburg gilt. Wie kann man nur! Wie kann man nur – einen Skorpion schenken? Dachte ich und kaufte einen Skorpion. Tot natürlich. Aufgespießt. Hinter dickem Glas. Goldumrahmt. Leider kam er nicht. Versteckte sich. Grub sich ein. Im Dickicht von DHL. Und ich harrte der Dinge, die kommen oder eben nicht. Er brauchte ja nichts zu essen. Er war tot. Selbst lebende Skorpione halten das aus. Manchmal ein ganzes Jahr. Angepasst. Ist auch so ein Aufgespießter, egal, ob der Postbote das Paket mit dem Scorpio-Bösen im Postwagen herumwirft. Mein Geschenk-Skorpion kam nicht und schlich mir als das Arge ins Hirn. Wie Macbeth fasste ich mir wartend an die Stirn und stöhnte: „O, full von diesen Dingern is my mind, dear husband!“- Und dem Mann in meinem Haus gruselte es gar sehr. „Menschliche Urangst“, raunte ich, so ein Stechdingens – „im Rahmen immerhin. Nicht im Kopf ist der, der ist gebannt. Aufgespießt und tot wie nur irgendwas.“ – „Könnte er wieder lebendig werden, fragte bang der Hausmensch.“ – „Klar!“ – lachte ich – „der könnte geradewegs aus Plutos Schatten-Hades herbeieilen, sich aufrichten und…“ – Nein, rufe ich! Er kann das nicht mehr und Zähne zeigen auch nicht. Wenn, dann zeigte er etwas – anderes. Wie einst Johnny Depp der Avon-Beraterin seine scharfen Hände zeigen musste, die er nicht verstand. Hände können Waffen sein. Ja, ok, lebte er auf, hätte er scharfe Hände, und auch seinen – nun ja, nennen wir ihn – Macbeth-Dolch! Hoch aufgerichtet, haha! Und lebte er, dann stäche er – zu. Er kann halt nicht anders. Es ist seine Natur! – Nun – unser Rahmenskorpion kam eines Tages, weit nach dem Geburtstag meiner astrologischen Freundin, hier in Magdeburg an. Ich packte ihn aus. Mir gruselte. Er sah aus, als wäre er gekommen, um sich zu rächen. Rechts unten, unter der Scheibe natürlich, war ein kleines Kästchen, als brauchte er noch Nahrung, der Skorpion. Dem Hausmenschen gruselte noch mehr. Und dann – rümpfte er die Nase. Der einstmals Wehrhafte stank in seiner Spießigkeit. Damit meine ich den Skorpion. Ich weiß nicht, was das für ein Geruch war. Verwesung? Nein, so ein stolzer Skorpion am Spieß kann nicht verwesen! Unter Glas! Meinen Hausmenschen packte die Angst. Sein Geruchssinn verfeinerte sich in Parfümeur-Höhen. Vielleicht ist das Ding irgendwie – nachtaktiv? Vielleicht befreit er sich aus seinem Gefängnis! – „Es ist hartes Glas mit Goldrand“ – meinte ich. „Der kann sich nicht befreien. Wir müssen ihn irgendwie „ausriechen““. – Sein seltsamer Odem breitete sich auf unseren 90 Quadratmetern bis in den kleinsten Winkel aus. Der Hausmensch traute sich nicht mehr, der Postfrau zu öffnen, die ihn seit wir hier wohnen, zum Weiter-Verteil-Postillon des Hauses ernannt hat. Nachtaktiv. Das ist einer, der sich häutet, die Schachtel durchbricht und über den Küchenboden tappt. Zuckend und verführerisch, falls wir seine Weibchen wären. Aber das sind wir nicht. Also was tun? So einen können wir doch nicht über die Grenze nach Österreich schicken und auch nicht – bringen! Vielleicht müssten wir das ominöse Paket unterwegs noch öffnen, weil dieser Geruch auch andere verstört, als trügen wir eine Leiche mit uns herum. Was ja nicht ganz unrichtig wäre. Nur unerschrockene Novemberkinder böten so einem Skorpion die Stirn! Sind wir leider nicht. Nachdem uns das „Ding“ beiden gleichzeitig nachts im Traum erschien, entschlossen wir uns zum Mord. Zum Mord an einer Leiche. Zum vorläufigen Begräbnis. Und beförderten den Unliebsamen in die Mülltonne. Wie kann man sein Ladengeschäft „Scorpio“ nennen! Wie kann man der Freundin einen Scorpio schenken – wollen! Man kann nicht. Jedenfalls ich nicht! So welkten die Fleurop-Rosen in barocker Art. So starben sie zweimal – meine unmöglichen Geschenke. Die Blumen und mein – Scorpio mit den Scherenhänden.


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