03. Nov 2021

November – Monat des Todes. Monat der Transformationen.

Schön grau heute. November. Nicht, dass ich ihn sonderlich mag, diesen seltsamen Monat der Revolutionen, des Karnevals, des Todes. Den Monat der Nebel und der düsteren Schatten. Auch Sonne hat er im Repertoire, auch Küsse und gefährliche Liebschaften. Hat den Skorpion im Gepäck und beginnt mit Allerheiligen und Allerseelen. Mit den Toten schloss auch der Oktober. Tot die Alte Welt, reformieren wir eine neue Welt! Wie lange die Menschen das schon wollen! Ideen haben, wie man es besser machen könnte und dann die anderen mehr oder weniger erziehen und zwingen, mit dabei zu sein, mit aufzubauen, umzugestalten, einzureißen. Irgendwann werden wir etwas ganz Großes tun! Irgendwann und ganz bestimmt werden wir die Welt retten! Und wer da nicht mitmachen will, wer der „Schönen Neuen Welt“, der Transformation, wie es neuerdings auf allen Kanälen heißt, nichts Erstrebenswertes abgewinnen kann, muss gezwungen werden. Willst Du also nicht mit – in die neue Zeit, dann kämpfe! Dann wehre Dich! Dann schau nicht mehr weg oder zu. Oder geh auf den Friedhof und vergieße heiße Tränen.

Kinder kennen es nicht anders. Sie lieben Halloween, das Fest der Untoten. Das Fest des Blutes und des Grauens. Fest der Kürbisse. In den Neunzigern kam der alte irische Brauch, den die Amerikaner so lieben, auch nach Deutschland. Kinder haben keine Scheu vor den Toten. Sterben? Das passiert den Anderen. Ich bin unsterblich! So denken sie, wie alle Generationen vor ihnen. Und sie feiern den Tod und die Auferstehung der Dahingeschiedenen, ohne es wirklich zu wissen. Ahnen es mit den Jahren immer mehr. Zunächst erst einmal Süßigkeiten einsammeln. Heutzutage nicht wegen einer Tafel Schokolade oder dem Beutel Bonbons. Die sind nicht wichtig. Die sind – wie ihre Mütter ihnen mittlerweile erfolgreich eingehämmert haben – sowieso „ungesund“. Wichtig ist – die Beute! Beute machen, ein menschlicher Urtrieb, der sich an Halloween so unverhohlen austoben kann. Später werden sie mit Gier und Beutemachen vorsichtiger umgehen (müssen) oder es ganz verlernen. Später kommen die Schneeflocken. Fallen vom Himmel als neue Generation, die mit dem Tod nicht umgehen können wird. Die nicht die Urne der geliebten Verstorbenen auf dem Büffet ausstellt, sondern an die eigene Transformation denkt. Transhumanismus als neue elegante Motivation, dem Tod nicht ins Auge sehen zu müssen.

Vom Allgemeinen ins Konkrete: Meine österreichische Freundin meint, dass wir Deutschen, ich auch, immer wieder erstaunt den österreichischen Hang zum Morbiden registrieren. Das wir uns wundern, wie die alles ausführlich und minutiös ausschlachten, was mit Tod und Vergehen zu tun hat. Die genüssliche Beschreibung von Krankheit und Verfall. Die Begeisterung für späteres Liegen in einem Friedwald. Wie sie Beerdigungsmöglichkeiten enthusiastisch ausmalen, als handele es sich um ein üppiges Hochzeitsmenü. Wie dieses Menü im Detail aussehen soll, bitte vor dem Tod festlegen! In allen Facetten. Sonst steht der Hinterbliebene „dann da mit der Leich‘!“ Ich schaudere beim Zuhören. Natürlich werden sie ihr – der Leich‘ – dennoch ein schönes Plätzchen bereiten, damit „sie es schön warm hat – in ihrer Urne auf dem Wohnzimmerbüfett, denn „er mochte es nie kalt und hatte immer kalte Füße.“ – Ja, klar. Das ist herzerwärmend. Leider sind in Deutschland Urnen im Hause der Hinterbliebenen gar nicht möglich. Das ist hier verboten. In der Disziplin des Verbietens macht uns so schnell keiner was vor. Obwohl die Österreicher, wenn es um die Verbotsgeschichten mit den verschiedenen Gs geht, das zur Zeit zumindest nachmachen. Doch weiß ich, sie nehmen es nicht so genau und auch nicht so schwer. Da gibt’s immer ein Augenzwinkern. Das haben sie uns voraus. Dafür liebe ich die Nachkommen meiner Großmutter.

Foto: Ottilie Hartwig


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