Meine erste Hochzeit

Da bin ich wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Erster Freund. Erstes Mal. Und – „es hat Zoom gemacht“. Hat geklappt. Irgendwann musste ich das meiner Mutter sagen: Ich bin – glaub ich – schwanger. Wann heiratet Ihr? – war keine Antwort, sondern eine Frage. Wann heiratet ihr.

Denn es war eine Zeit, in der noch geheiratet wurde – wegen eines Kindes. Du sollst doch keine „Sitzengelassene“ sein. Also „musste“ ich heiraten. Sicher hätte ich protestieren können. Und ich glaube nicht, dass meine Eltern mich gezwungen hätten. Aber ich war immer ein braves Kind. Ich war siebzehn und in einem Viertel Jahr achtzehn. Das richtige Alter. Also Hochzeit.

Ich habe mich um nichts gekümmert. Das übernahmen der Angetraute in spe, seine und meine Eltern. Nur ein schreckliches weißes Kostüm, mit weißer Bluse und silbernem Stehkragen erstanden meine Mutter und ich einen Tag vor der Hochzeit. Es gab einfach nichts anderes. Ich war im fünften Monat, aber man sah es noch nicht, das Kleinste passte. Die Hochzeit fand an einem 17. Juli statt. Alle Verwandten und auch ein paar Freunde wurden herbeigerufen und unter den Klängen von Mendelssohns „Hochzeitsmarsch“, gespielt von einem Altherrenquartett, marschierten wir in den Hochzeitsraum des Standesamtes.

Es war feierlich. So feierlich, dass mir schlecht wurde und ich begriff, hier passiert irgendetwas, das mein Leben verändern könnte. Ich hatte gerade die 11. Klasse beendet und wollte mein Abitur machen. Ich wohnte bei meinen Eltern. Mein Freund durfte bis zu diesem Tag nicht bei mir übernachten. Selbst, als sie wussten, dass ich schwanger bin und wir gemeinsam in einem Osterurlaub waren, buchten sie für ihn und für mich unterschiedliche Zimmer. Wir waren ja noch nicht verheiratet. (Ich bin natürlich heimlich nachts zu ihm geschlichen).

Also Standesamt: Alle weinten. Ganz besonders laut meine Oma. Ich verstand nicht, was es da zu weinen gibt. War das nicht ein Tag der Freude? Nein, war es nicht. Ich hatte einen Ziegelstein im Bauch und gab mich der kurzen Überlegung hin, dass ich auch „NEIN“ sagen könnte. Aber dann, nachdem die Standesbeamtin ihre langweilig herunter geleierte Rede beendet hatte, fragte sie natürlich: Wollen Sie den hier anwesenden Herrn – na ja und so weiter. Ich sagte: Ja. Und ärgerte mich gleichzeitig, weil ich gern NEIN gesagt hätte. Danach mussten wir in ein Fotostudio und uns fotografieren lassen. Und später ins „Haus des Handwerks“ zum Mittagessen.

Mir war schlecht und mir gingen allerhand böse Gedanken durch den Kopf. Warum hast Du nicht NEIN gesagt? Dann zogen wir in die Wohnung meiner Eltern, die für die vielen Gäste viel zu klein war und brachten irgendwie den Nachmittag herum. Ich schaute mir die Geschenke an, die in erster Linie aus Haushaltsgegenständen für einen Haushalt, den wir nicht hatten, bestanden. Aber egal. Vielleicht ist mir deshalb nur noch der überdimensionale Pantoffel aus Holz im Gedächtnis geblieben, den jemand mit „Pantoffelheld“ in Ritztechnik plus bunten Blumen verziert hatte. Er lag noch jahrelang in meinem Kleiderschrank und irgendwann, wir waren längst geschieden, warf ich ihn in eine Mülltonne.

Weitere Rituale blieben uns erspart. Das weiße Kostüm und das bescheuerte Brautdiadem flogen gleich am Nachmittag in die Ecke und wurden gegen ein tragbares Kleid getauscht. Mir blieb dieses mulmige Gefühl im Magen. Und so konnte ich mich auch nicht auf das üppige Abendbüfett freuen, das meine Schwiegermutter aus dem Interhotel der Stadt „organisiert“ hatte, in dem sie Küchenchefin war. Tausendmal an diesem Abend musste ich mir anhören, dass das ein Büfett wäre, wie es auch „Partei und Regierung“ bei ihren Gelagen verspeisen. Es gab da allerlei Dinge, die ich noch nie gesehen hatte und auch nicht so schnell wieder sehen würde. Geschweige denn essen. Zum Beispiel stand da ein großes Brett, auf dem sich Forellen befanden, die aussahen, als ob sie noch lebten. Sie waren steif und gebogen und schauten genauso traurig wie ich.

Ich hab an diesem Tag keinen Bissen herunterbekommen. Ich kann mich an kein einziges Gespräch erinnern, nur noch daran, dass mein frisch gebackener Ehemann das erste Mal mit mir in meinem Kinderzimmer übernachten durfte. Auf Liegen über Eck. Das nannte sich Hochzeitsnacht. Er schlief sofort ein.