Weihnachten in Familie

Den Weihnachtsmann hab ich nie gesehen. Ich hörte ihn immer nur klopfen. Vermutlich klopfte mein Vater heftig an die Küchentür, scharrte mit den Füßen und dann ging er. Der Weihnachtsmann. So sollte ich glauben. Ich aber machte mir Gedanken, wie er hineinkommen ist. Nur kurz. Denn jetzt kam die Bescherung! Für die wir unsere Sonntagssachen anzogen. Ja, in meiner Kindheit gab es diese besondere Kleidung, die den Sonntagen vorbehalten blieb.

Ich vertrieb mir den ellenlangen Heiligabend-Tag meist mit Fernsehen. Es gab – natürlich im DDR-Fernsehen – die extralange Sendung mit Meister Nadelöhr, dem Briefträger und dem Schneemann. Sie unterhielten sich meist über irgend etwas, was ich nicht so gern sah. Aber Filme! Es gab vorzugsweise Trickfilme. Am liebsten sah ich Zeichentrickfilme. Die waren am seltensten. Weniger gern Puppentrickfilme, die waren mir zu langsam. Noch weniger gern Scherenschnittfilme, die waren mir zu schwarz-weiß und oft auch irgendwie gruselig. Dennoch freute ich mich jedes Jahr auf diesen langen Nachmittag in der „Schneiderstube“. So viel Zeichentrick war sonst das ganze Jahr nicht.

Gegen 17.00 Uhr beendete meine Mutter diese Weihnachtsvorfreude mit dem Ruf: Bescherung! Dann legte sie noch schnell die Schallplatte mit dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach auf und wir durften „rein“ – ins „Arbeitszimmer“, dort fand die Bescherung statt, während meine Mutter das Weihnachtsoratorium enthusiastisch dirigierte.

Geschenke, an die ich mich erinnere, waren ein Puppenhaus mit Beleuchtung und Möbeln. Und natürlich Puppen. Ein Kaufmannsladen mit Kasse und kleinen Waschmittelpaketen. Immer wieder viele Kinderbücher und – zu dieser Zeit nicht so beliebt – Pullover, Hosen, Kleider oder Schals und Mützen. Das schönste Geschenk meiner Kinderzeit waren ungefähr fünfzehn (alte) Puppen, für die meine Großmutter neue Kleidung genäht hatte. Kleider, Röcke, Blusen, Mäntel, Mützchen und Unterwäsche. Sie saßen alle nebeneinander auf dem Schrank und warteten auf mich. Unvergesslich schön! – Später wollte ich selbst Kleider, Röcke, Mäntel, Mützen und Unterwäsche. Und Bücher, Bücher, Bücher.

Lesen war schon als Kind meine Lieblingsbeschäftigung und ist es bis heute geblieben. Was wir am Heiligabend gegessen haben, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall setzte sich mein Vater immer schnell in die Küche ab und saß vor dem Ofen und beobachtete die Gans und später die Pute mit „siebenerlei“ Fleisch, von dem zu Schwärmen meine Mutter nicht müde wurde. Sie war ja auch unser liebstes DDR-Propagandaopfer. Denn Puten sollten wir lieben, weil Gänse knapp waren, zu dieser Zeit. Die Pute also – gab es erst am nächsten Tag. Mir hat so eine DDR-Pute nie sonderlich geschmeckt. Und als ich erwachsen war, wechselte ich wieder zu Gans oder Ente.

Tradition war es bis zu Corona, dass sich die ganze Familie zu Weihnachten – entweder bei mir oder meiner Schwester – trifft. Oft kamen noch Freunde hinzu und Freunde der Kinder. So ist es schon passiert, dass wir um die fünfzig Weihnachtsfeierer waren. In diesem Jahr sind wir Corona-Menschen, die sich zur Heiligen Nacht an verschiedenen Orten versammeln. Ich bleibe, wo ich bin und hoffe auf andere Zeiten.

Zurück zu den Zeiten des ahnungslosen Glücks: Gestritten haben wir nie – obwohl wir eine sehr diskussionsfreudige Familie sind. Einmal – das war noch in Leipzig – brachte meine Mutter ihren neuen Mann mit. Peter und ich schauten in der Küche in die Röhre nach der Gans und sie fiel heraus – aus dem Ofen – auf den Teppich. Wir hatten ein paar Tage zuvor die komische Idee, in der Küche einen Teppich auszulegen. Den konnten wir nach diesem Fettsturz entsorgen. Der Neue war total verblüfft, dass wir alle nur lachten. In seiner Familie wäre so etwas der Beginn eines schrecklichen Abends gewesen, meinte er. Außer, dass ein Schwibbogen abbrannte, kann ich mich an nichts Schreckliches erinnern. Und denke gern an all die Weihnachtsfeste und besonders auch an die, die nicht mehr unter uns sind. Ich hoffe, dass spätestens 2022 wieder ein Fest meiner Familie wird. Wenn es – nach Datenlage – auch ein irrationaler Wunsch ist…

Deine erste Candy vergisst Du nie – Waschen im kafkaesken Raum oder Waschmaschine leben nicht so lang II

Deine erste Candy vergisst Du nie.

Sie war meine Waschmaschine. Ich besaß sie genau drei Tage, dann riss das Ablaufventil. War Candy zu ungestüm? Nein! Sie wusch solide und bewegte sich nicht mehr als andere – Waschmaschinen. Materialfehler im Plastikventil? Ich rief bei Amazon an – Sie erinnern sich – die wollen das servicefreundlichste Unternehmen der Welt sein. Eine nette Telefon-Dame: Nein, wir reparieren das nicht. Das könnten Sie selbst tun, dafür geben wir einen Preisnachlass. Ich kann das aber nicht! – Dann holen wir die Maschine ab und Sie bestellen sich eine andere. Diese Candy haben wir im Moment nicht. Ich überlegte. Eigentlich dumm, die Maschine, die ganz und gar in Ordnung ist, abholen zu lassen… alte 80er-Umweltbedenken bemächtigten sich meiner. Nicht stark genug. Die Amazon-Dienstleisterin war stärker. Wir holen die Maschine am 13. Dezember. Gesagt. Getan. Am Montag war sie weg. Meine Candy. Die mit der wunderbaren Tür! Ja, diese Tür war sanft selbstschließend wie eine geplante Musterküche. Candy adé, ich werde Dich nicht so schnell vergessen.

Doch das Leben geht weiter: Vielleicht mal sehen, was Quelle hat? Oder das, was davon übrig ist. Privileg! Da fielen mir meine Neunziger ein. Was hatte ich nicht alles von Privileg! Fast alles von Kühlschrank bis Toaster. Quelle ist längst dahingeschieden, Privileg hat überlebt. Privileg-Waschmaschinen haben gute Bewertungen bei Amazon. Nicht so viel Schnickschnack, macht was sie soll. Das will ich auch. Bestellt – Privileg. Natürlich bei Amazon, auf die Gefahr hin, dass ich wieder die Herren des Schweigens für den Anschluss geschickt bekomme. Gleich Mittwoch. Also gestern. Zeitfenster 7-19 Uhr.

Das Fenster öffnete sich bereits um 8.30 Uhr. Es spazierten wieder zwei Facharbeiter aus Nahost herein. „Oh, habe schöne alte Schrank! Habe ich auch. Wollen verkaufen? – Nein wollen nicht! Is gut. Wo ist alte Waschmaschine? Schon weg. Ah, schon weg! Auch gut. Der Ältere unterhielt mich, während der Jüngere sich an der Privileg zu schaffen machte. Schnell waren sie fertig, probierten die Neue. Machten keinen Durchlauf, wie die Candy-Schweigsamen von vor drei Wochen, sie knipsten sie aus und an und wollten gehen.

Ich aber – sah zum Ablaufventil. Es hatte einen Riss. Es war mein altes kaputtes Ablaufventil! – Sie haben das alte Ablaufventil, das dummerweise noch auf dem Küchentisch lag, einfach wieder eingebaut! Ich sagte: Dieses Ablaufventil ist kaputt. – Wieso? Geht doch? – Aber es tropft. Es hat einen Riss. Dieses Ventil ist der Grund, weshalb die Vorgänger-Maschine wieder abgeholt wurde. – Ich erzähle die Geschichte. Sie sehen mich staunend an. Kannst Du wechseln, kaufst Du neues in Baumarkt. – Ich möchte, dass Sie mir eine funktionsfähige Maschine mit einem neuen und nicht kaputten Ablaufventil hinstellen. – Wir haben keine andere Ventil. – Was hätten Sie denn gemacht, wenn das alte kaputte nicht auf dem Tisch gelegen hätte? – Hätten Maschine nicht anschließe könne. Wir keine Ventil HABE. – In diesem Fall müsste Amazon mir aber vorher mitteilen, dass Monteure kommen, die kein Ablaufventil haben und deshalb die Maschine nicht anschließen, wie vereinbart und bezahlt. Die Monteure der Vorgängerwaschmaschine hatten doch auch ein Ventil dabei. Die waren auch von Amazon. – Die waren vielleicht Hamburg. Wir sind Hannover. – Oh, aha, nehmen Sie bitte die Maschine wieder mit. Mit dieser kann ich nichts anfangen, ich habe einen funktionierenden Anschluss bezahlt. – Das geht nicht, wir sind für bringen. Nicht für abholen. Gehen Sie in Baumarkt und holen neue Ventil. Ist einfach anbauen. – Sie zeigen, wie einfach. Es ist einfach. Es ist ärgerlich. Sie gehen. Ich bin auf dem gleichen Stand wie mit meiner legendären Candy. Ich habe eine neue Waschmaschine mit kaputtem Ventil. Privileg. Alles umsonst. Ich rufe bei Amazon an. Neue freundliche Telefon-Dame. Gleiche Auskünfte. Es ist kafkaesk. Ich drehe mich verbal und konkret im Kreis, nehme den Preisnachlass und mach mich auf die Suche nach einem Ablaufventil. Das richtige Ventil gibt’s nach Auskunft von Frau Google nur im MediaMarkt, da kann ich nicht rein. 2G. Also wieder Amazon, machen wir die Plattformökonomie stark. Gestern bestellt. Heute da. Eingebaut. Die Privileg läuft wie eine Gebirgsquelle. Hoffentlich ab. Ohne zu tropfen. Mit Privilegien kann man sich anfreunden, nicht wahr! Auch wenn die Tür nicht so geheimnisvoll anschmiegsam ist.

Herzens-, Schmerzens- und Feuermann – meinem Sohn Robert Gläser zum heutigen Geburtstag

Mein Sohn Robert Gläser ist – astrologisch gesehen – ein Dreifach-Schütze.

Kein leichtes Leben mit so viel Feuer. Sowohl für ihn, als auch für die anderen, die ihn umgeben. Ein schwer erziehbares Kind, hieß das in der DDR. Ein besonderes Kind – sage ich. So verweigerte er konsequent sozialistische Beschulung. Und widmete sich dem, was er für richtig hielt. Das hieß zu Beginn „Hexenschuss“, später „L’Attentat“, dann „Reininghaus“ und noch später „Cäsar und die Spieler“. Erst Schlagzeug (da bin ich ja nur hinten auf der Bühne!), dann Bass (besser, der hat nur vier Saiten), auch mal – und nunmehr verstärkt – Singen. Eine Botschaft haben. Videos drehen. Und das sehr gut. Am besten gefällt mir, wie er mit einer Axt durch die Karl-Marx-Allee läuft. Wer ihn kennt, weiß, dass das nicht bedrohlich enden kann. Der Song heißt: „Weißt Du, was Du bist?“ Großartig.

Robert suchte und sucht. Gründete Bands wie „De Buffdicks“, wie war das irre, und trat im roten Minirock auf, der auch mal beim „Springen“ auf der Bühne „Dinge freilegte“ (wow). Verrückt, dieses Kind. Unbezähmbar, unbezahlbar, unbeirrbar. – Was mir schnell auffiel, war sein ganz spezieller Humor. Als ich zu Beginn der Achtziger einmal ein neues sehr rotes Kleid erstand, führte ich es ihm vor, als er – als Zehnjähriger – in der Badewanne lag. Und ich fragte: Wie findest Du das? – Er: Naja, nicht schlecht, wenn Du mal zum Stierkampf gehen willst! – Als Zwölfjähriger konnte er alle in seiner Umgebung parodieren, so dass wir vor Lachen „ins Essen fielen“. Damals rieten wir ihm: Du musst Schauspieler werden! Doch war ihm das Auswendiglernen von Goethe-Texten für die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule zu langweilig, zu anstrengend oder eben – zu überflüssig. Er wollte doch viel lieber Musiker werden. In unserer Familie wurde man Musiker oder – nichts.

Oft habe ich mir Gedanken gemacht – über dieses ungewöhnliche Kind. Oft habe ich mir Sorgen gemacht. Egal – viele Jahre später schenkte er mir meine Enkelin Annamaria und – noch später – meinen Enkel Mio. Enkel sind für mich noch immer etwas Besonderes, während Robert das Vatersein früher weniger und heute sehr ernst nimmt. Er liebt seine Kinder und er liebt es, Kinder zu haben. Und er hat einen ausgeprägten Familiensinn, der mich ab und an sogar nervt. Immer an Weihnachten möchte er die Familie zusammenhalten und natürlich müssen alle dabei sein. In diesem Jahr wird das – wie im vergangenen Jahr – nicht gelingen. Auch unsere Familie zerstreut sich. Da ist man sich nicht grün wie ein Weihnachtsbaum. Da ist man nicht Corona-like, da ist der eine dort und der andere da. Wir sind einfach zu viele. Und genau am runden Geburtstag von Robert wechselt die bleierne Regierung in eine – nun ja – andere. Wir werden sehen. Wir – das Land. Wir – die Familie. Er – unser Robert – das Problemkind. Unser Robert – das Stehaufmännchen. Unser Robert – der Unentwegte. Unser Robert – der Mann wie ein Baum. Unser Robert – der immer den Humor behält. Unser Robert – der auch verzweifelt sein kann, aber man merkt es kaum. Unser Robert – der zum Unterhalter für Jung und Alt geboren ist. Unser Robert – der mit Kirsten endlich die Frau hat, die mit seinem ungestümen Wesen umgehen kann.

Was er uns alle gelehrt hat? Es gibt nichts Wichtigeres, als die Familie. Es ist egal, was Du tust, tu‘ es! Niederlagen gehören zum Leben. Wir können sie als Chance begreifen. Erfolg ist meist ein kurz währendes Glück. Dann geht es weiter. Glück ist fragil. Die Liebe ist ewig. – Robert ist ein Reisender, immer auf der Suche nach dem Glück und der Liebe.

Wir lieben Dich, Robert, ohne Dich wäre unsere Familie undenkbar. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein lieber Sohn! Herzlichen Glückwunsch unserem einzigartigen Robert!

P.S. Ich vergaß – Robert ist ein begnadeter Koch!

P.P.S Heute hat auch mein Enkel Tamino Geburtstag.


Foto: Robert (16)