Österreichischer Käse versus amerikanische Puritaner

Ich habe gesündigt. Die Österreicher sind schuld. Ich weiß nicht, wo sie diesen Käse zusammenbrauen, ich weiß nur, es muss in den Bergen sein. Da gibt’s ja angeblich „ka Sünd“. Aber dieser Käse! Dieser Bergkäse! Der ist eine Sünde. Eine Sünde wert. Ich hab ihn im ALDI gekauft. Seit Wochen bin ich im Banne der Gewichtswächter und zähle akribisch Punkte.

Heutzutage ist ja alles so einfach. Ich muss nicht in Gruppen diskutieren, nicht in Büchern herum lesen, ich studiere keine Tabellen, nein, online läuft das. Mit App. Online zähle ich meine täglichen Punkte bzw. das „Programm“ rechnet mir alles aus. Wie ein Buchhalter gebe ich Daten ein und – oh, Wunder – dann stehen sie da. Meine frisch ausgerechneten Ergebnisse. Das, was ich essen will, wird für gut oder nicht gut – be(p)funden oder bepunktet: 26 am Tag. 49 Extrapunkte für alle Wochensünden.

Es ist nicht schwer, so punktgenau durchs Leben zu essen. Wirklich nicht. Aber es ist schwer, punktgerecht zu – trinken. Denn – die Amerikaner haben es erfunden – und der amerikanische „Herr“ bestraft die kleinen Sünden sofort. In Form von Strafpunkten. Ein Glas Rotwein – 4 Punkte. Von Rum wollen wir gar nicht reden. Warum ich das schreibe? Ich habe heute Rum getrunken. Besser: Caipirinha. Leider nicht nur ein Glas. Sondern vier.

Und dann bricht es sich Bahn aus mir – dieses „Ist-doch-scheißegal“. Heute, nur heute! Morgen bin ich wieder  punktbrav! Heute wird Käse gegessen. Verschlungen. Unmengen von Bergkäse. Ein Punkte-Desaster. Wie viele? Zu viele! Ja, ja, ja. Die Punkte schenk ich mir! Und wohin mit dem Geschenk? Böse Zungen nennen es „Hüftgold“. Wären ausladende Hüften gesellschaftsfähig oder – schick ausgedrückt – „en vogue“, könnt‘ ich jeden Abend rum-kugeln. So aber. So aber nicht.

Ich sehe die Erfinder des Punkte-Programms förmlich ihre mageren Zeigefinger recken: Madame! Alkohol schwächt die Willenskraft. Alkohol macht dick. Alkohol macht dumm. Macht willenlos. Dumm. Aggressiv. SÜCHTIG! Oh, oh, ich schau mein geliebtes Staatl. Fachingen-Wasser an und – es schaut zurück: Durchsichtig und mineralgeladen. Warum nur macht es mich nicht froh? Komischerweise bekomme ich im Supermarkt meines Vertrauens, wenn ich einen Kasten vom teuren Wasser erstehe, neuerdings jedes Mal ein Kochbuch dazu. Wasser muss sich wieder lohnen!

Ich lächle den jungen Mann an der Kasse an und stecke das fünfte Kochbuch ein. Morgen schau ich vielleicht mal rein. Die restlichen verschenk ich zu Weihnachten. Den österreichischen Bergkäse verbanne ich aus Kühlschrank und Gedanken. Der Teufel trägt – Rum! Alles Käse? Oder was!

Mit dem Rücken zur Wand.

Ich stehe mit dem Rücken zur Wand. Ich schau zur Tür und an die Decke. Abwechselnd. Ich schau gleichgültig. Und durch die Anderen hindurch. Ich hoffe, keinen Krümel oder Ähnliches im Gesicht zu haben. Ich sage nichts. Die Anderen auch nicht.

Wir sind im Fahrstuhl. Vor dem Fahrstuhl haben wir noch „Guten Morgen“ gesagt. Im Fahrstuhl sprechen wir nicht. Es sei denn, ich bin mit zwei Männern drin, die miteinander gekommen sind und sich kennen. Dann reden die. Miteinander. Sie reden für mich. Sie wollen witzig sein. Und kalauern über irgendwas. Ich lache nicht. Ich schweige. Sie kalauern noch eine Runde schärfer. Wir sind unten angekommen. Ich sage „Einen schönen Feierabend wünsch ich!“. Erleichtert sagen sie dasselbe.

Und wir gehen zum Ausgang. Ich überlege, ob die jetzt noch was Bösartiges über mich sagen oder mich augenblicklich vergessen. Sie vergessen mich. Ich bin ja keine 20jährige Blondine. Wären wir steckengeblieben, hätten wir geredet. Erst einmal über die Situation und – je nach Länge der Situation – über uns.

Fahrstühle sind wunderbar. Sie reizen meinen Humor. Und haben ihre eigenen Gesetze. Ich denke an eine Werbung, in der alle Fahrstuhlfahrer miteinander singen. Ich glaub, es ging um eine Süßigkeit, die jemand allen anbietet. In dem Fahrstuhl, in dem ich immer fahre – vier Stockwerke – würde das nicht funktionieren. Manchmal überlege ich, ob ich die Anderen frage, was sie denken. Und ob die Anderen das auch überlegen.

Und ich denke darüber nach, warum das so ist, dass das Nebeneinanderstehen im zu engen Raum seine eigenen Gesetze entwickelt. Man will sich nicht noch näher kommen. Man demonstriert, dass man dem Anderen nicht auf den Pelz rücken wird. Das ist wahrscheinlich beruhigender, als wenn jemand Pralinen verteilt. „Ich werde Dir nichts tun. Und Du tu‘ mir bitte auch nichts.“ Das ist das Agreement. Sollten wir „Steckenbleiben“ können wir noch genug reden. Wir fahren störungsfrei.

Kein Haus. Keine Creme. Keine Botschaft.

Ich habe kein Haus. Die große Liebe auch nicht. Seit Jahren finde ich nicht die Creme, die das Alter aufhält. Ich habe mir immer noch kein Fahrrad gekauft. Ich sortiere keine Belege für den Steuerberater. Ich lese Krimis. Ich esse immer das Falsche. Ich nehme nicht ab.

Ich hab zwei Flaschen Rotwein im Haus, die ich versuche, nicht zu trinken. Ich rauche drei Zigaretten pro Tag. Ich sortiere seit Wochen nicht die Belege für den Steuerberater. Ich arbeite wie ein blöder Hamster im Rad. An den Wochenenden liege ich herum und träume von was Anderem.

Ich lese Krimis. Sollte ich ein Buch schreiben? Die Zeit rennt. Wer sollte so ein Buch lesen? Von einer, die nichts auf die Reihe kriegt. Die nicht einmal eine Botschaft hat. Ich lese von Frauen, die die richtigen Cremes, die richtigen Diäten, die richtigen Liebhaber und Fahrräder haben. Die wissen, wie alles geht. Die Bücher schreiben.

Ich nicht. Ich warte. Irgendwann werde ich etwas Großartiges tun. Die Zeit rinnt. Es bleibt alles, wie es ist. DAS IST ES! Die Botschaft? Mist. Das hatte ich auch nur irgendwo gelesen. Ich lese Krimis. Leben ist Kopfkino. Ich bin eine schlechte Regisseurin.