Letzte email Peter Gläser an Elisabeth Koeppe-Gläser

18. April 2008

Liebe Elsch,

nochmals vielen Dank für euren Besuch in Leipzig. Ich habe mich wirklich riesig gefreut. Dass der Abend so turbulent zugehen würde, war mir völlig klar. Ein richtiger Gläserabend im klassischen Stil. Da kracht es halt immer wieder mal. Jeder gegen jeden, vor allem auf die Mutter. Wäre der Abend anders verlaufen, wäre ich wahrscheinlich enttäuscht gewesen. Ich hoffe, auf der Rückfahrt wurde es dann langsam stiller.

Stand der Dinge:

Ich fühle mich wie nach einem Atomkrieg. Völlig erledigt und schlapp. Die letzten Tage in der Klinik hatte ich mir noch ordentliche Verbrennungen am Hals zugezogen. Nun bin ich schon zwei Wochen entlassen. Der Blutspiegel spielt verrückt, zum Glück aber nicht so, dass ich wieder in die Klinik muss. Ich habe immer mal zu wenig weiße Blutkörperchen. Die sind aber für den Heilungsvorgang wichtig, weil sie die Antikörper bilden, die sich dann auf Entzündungen etc. stürzen. Aber die ersten Erfolge stellen sich ein… Also ist der Körper schon wieder in der Lage, sich selbst zu reparieren. Nur meine Schleimhautentzündung hält sich hartnäckig. Dass sich das hinziehen wird, wurde mir schon angekündigt, also auch grüner Bereich. So lange muss ich mich aber noch über die Magensonde ernähren, denn schlucken kann ich nicht. Inzwischen meldet sich schon ab und zu sogar meine Stimmhaftigkeit zurück. Die körperlichen Kräfte waren gleich Null. Die einfachsten Sachen sind wie Schwerstarbeit. Ich schaffe gerade mal ein bis zwei Hunderunden am Tag. Aber weil die Hundeviecher so dankbar sind, das macht’s am Ende wieder leichter. Also, die Lebensgeister heben schon ab und zu den Finger und ermutigen mich zu neuen Taten.

Was ist mit Moritz?

Also macht euch keine größeren Sorgen. Es ist wohl normal, dass man nach der Therapie so durchhängt. Aber es geht bergauf. (…) Seid alle ganz lieb gegrüßt (…)

Dein Peter.

Gestern vor elf Jahren hat er den „Kampf“ aufgegeben.

Peter Cäsar Gläser      7.1.1949 – 23.10.2008

Foto: Peter Cäsar Gläser ca. 1985

Aus meinem sporadischen Tagebuch

Aus meinem sporadischen Tagebuch

Die meisten Leute ändern sich wenig und wiederholen nur die stets gleichen Dinge. Ich wahrscheinlich auch. Ich habe ja eigentlich das langweiligste Leben, das man haben kann, wüsste aber wirklich nicht, wodurch es interessanter werden könnte. Letztlich lebe ich in anderen Leben, durch Lesen oder Filme. Das Leben der Anderen aus sicherer Entfernung.

Schreibblockade. Bewundernswert sind die, aus denen es nur so herausströmt. Ich werde am nächsten Wochenende mal diese gehypte Juli Zeh lesen. Mal sehen, was das ist. Interessant wäre zu wissen, ob die Leute die Romane kaufen, weil sie gut sind oder deshalb, weil in allen Zeitungen steht, dass sie gut sind. Das würde letztlich bedeuten, dass nur Leute Bücher kaufen, die Zeitungen lesen, ob nun als Papier oder auch online. Es gibt aber noch eine andere Szene, die anscheinend auch gut läuft, die ich nicht kenne. Kerstin Gier und so etwas wie das mit den grauen Schatten. Vielleicht sollte ich das auch mal lesen, um meine Schreibblockade zu lockern. Gut war ja auch diese Schriftstellerin, die aus Jena stammt, der Name fällt mir gerade nicht ein, doch, fällt mir ein: Melanie Rabe. Die hat mir gefallen. Immer wieder bewundere ich Max Goldt, der aber auch von Schreibblockade spricht. Und Stuckrad-Barre hatte ein Alkoholproblem, wäre mal interessant zu wissen, ob er clean ist oder wieder mit dem Trinken oder anderen vermeintlichen Schreibblockaden-Lösern angefangen hat.

Ich bin ein Kommunistenkind. Und schaue immer wieder mit Erstaunen zurück auf diese Vergangenheit. Unsere Vergangenheit in einer „Diktatur des Proletariats“, wie sie sich stolz nannte. Sie holt mich bisweilen ein, doch heute bin ich immun. Heute weiß ich ganz sicher, dass die „Idee“ eben nicht gut ist, egal, wie schlecht sie ausgeführt wird. Und eines habe ich ganz und gar nicht: Den Fanatismus, mit dem dieses Projekt immer wieder aufs Neue betrieben wird. Besonders fanatisch – ja anders kann man das nicht nennen – war meine Mutter. Wobei ich oft nicht weiß, wie sehr bei Sinnen derartig fanatische Menschen sind, wie sie einer war. Der Vater war vermutlich nicht so. Ich wüsste zu gern, ob er die Wende im Denken hinbekommen hätte, weg von seinen kommunistischen Vorstellungen. Wahrscheinlich dann doch nicht. Es ist Spekulation. Vielleicht war er doch nicht der große Denker, für den alle ihn hielten. Wenn er das gewesen wäre, wäre er dann so ein treuer SED-Genosse gewesen? Nein! Oder die dachten damals wirklich, dass sie ein ganz großes Projekt der Menschen-Beglückung betreiben. Das genau ist die Crux. Dass die Sozialisten/Kommunisten immer glauben, die anderen mit Glück versorgen zu müssen und nicht willens und in der Lage sind, diese anderen nach ihrer Fasson selig werden zu lassen. Sie müssen sich einmischen, weil sie denken, dass sie extrem hochwertig und moralisch sind. Es ist schwer, als Superlinker, sich davon zu verabschieden, dass man nicht für alle Menschen, schon gar nicht für alle die, die es in der Welt gibt, verantwortlich ist. Beschränkung auf den engsten Kreis ist schon anstrengend genug. Glücklicherweise bin ich die ersten Jahre bei meiner katholischen Großmutter aufgewachsen, das hat mich geprägt und letztlich vor dem Schicksal bewahrt, das eigene Denken über das vierzigste Lebensjahr hinaus zu verlernen.