Aus einer vergangenen Zeit in einem untergegangenen Land I – Der schwere Weg in unsere „Kulturküche“ in Leipzig-Gohlis

In der DDR wurden die Wohnungen vom Wohnungsamt „zugewiesen“. Man brauchte als Paar eine Heirat und eine „Wohnungszuweisung“, um in eine Wohnung einziehen zu dürfen. Den Mietvertrag schloss man meist mit der Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV), einer Arbeiter-Wohngenossenschaft (AWG) oder – selten – mit einem privaten Vermieter ab.

Als ich mit unserem jüngsten Sohn Moritz schwanger war, wohnten Peter, Robert, Ben und ich noch in einer sogenannten Teilhauptmiete. In einer großen Altbauwohnung mit alten Öfen und altem Parkett und noch älterem und zerfetztem Bodenbelag im Korridor – zusammen mit einer alternden Trinkerin und Tragödin, zusammen mit einem jungen, frisch verheirateten Paar, alle zusammen in dieser einen Wohnung. Peter und ich hatten eine eigene Küche und zwei Zimmer. Gemeinsam mit den anderen waren der Flur, die Toilette und das Bad, das wir kaum benutzten, da es dort nur kaltes Wasser gab – beheizbar mit einem alten Badeofen – und noch schlimmer, eine stumpfe, vor sich hin blätternde Badewanne. Alles war schmutzig, da keiner sich verantwortlich fühlte. In der Küche kaltes Wasser und ein Spülschrank mit herausschiebbaren Schüsseln, in die man warmes Wasser aus einem Miniboiler einfüllen musste, um Geschirr zu spülen. Wir hatten immerhin zu diesem Zeitpunkt schon eine vollautomatische Waschmaschine, die uns meine Mutter zur Geburt von Ben geschenkt hatte. Aber wir wollten dort raus! Ich hatte das dritte Kind im Bauch, die Trinkerin drohte jeden Abend mit Selbstmord, das Bodenholz der Küche war so verzogen, dass nur Eingeweihte darauf laufen konnten, ohne hinzufallen, und und und… ich erspare weitere Details.

Wir machten Druck beim Wohnungsamt, vor allem ich. Wir brauchten eine Zuweisung für eine neue und vor allem größere Wohnung. Allein für uns. Da ging ich also mit meinem dicken Bauch zu jeder Sprechzeit hin, und jammerte und bettelte: drittes Kind, Teilhauptmiete, bald fünf Personen und nur zwei Zimmer in einer verwahrlosten Wohnung, mein Mann, der Rockstar, kann ja nicht einmal Besuch empfangen!! Was wir alles erzählten! Tut uns leid, war die ewige Antwort. Wir haben leider nichts für Sie. Oder wir besichtigten schrecklichste Wohnungen und hatten uns schon damit abgefunden, dass das noch eine Weile so bleiben würde.

Dann kam das Angebot: 150 Quadratmeter Leipzig-Gohlis. Vier Zimmer, Küche, Bad, Riesenflur von 30 Quadratmetern. Vorher habe ein Schriftsteller, der Arztromane verfasse, darinnen gewohnt. Die Wohnung stehe schon drei Jahre leer. Warum? Da musste es einen Haken geben! Es gab einen Haken. Die Wohnung lag im Hochparterre und war nicht beheizbar. Sie hatte zwei kaputte Öfen, sonst nichts. Peter und ich entschlossen uns todesmutig, die Zuweisung für diese Wohnung anzunehmen. Wir wollten eine Gas-Zentral-Heizung einbauen lassen. Das Geld hatten wir, auch die Handwerker. Es gab ja genug Cäsar-Fans unter den Handwerkern. Das Problem war das Material. Das ewige DDR-Problem. Problem Nummer Zwei: Wir mussten im Innenhof des Hauses einen eigenen Schornstein bauen lassen, weil alle anderen Leute im Haus mit Kohle heizten. Und drittens: Um unsere dann irgendwann fertige Heizungsanlage in Gang zu bringen, brauchten wir ein Gerät, dass es nur für Westgeld gab. Auch das haben wir aufgetrieben.

Für den Schornstein mussten wir den Innenschacht einrüsten lassen. Da gab es über sieben Ecken einen privaten Gerüstbauer, der erkannte unsere Not und trieb den Preis so hoch, dass das Gerüst am Ende teurer wurde, als die gesamte Heizungsanlage plus Handwerker-Rechnungen.

Zum Abschluss schickten wir noch eine Malerfirma rein, die rissen alles ab, Tapeten, unter denen Zeitungen von 1949 zum Vorschein kamen, und malten den Stuck an, als gilt es das Leben. Die Decken sahen danach aus, als wären es Pralinenschachteln. Alle Türen und Fenster dunkelbraun (!) und neues Glas eingezogen. Dann noch eine Woche lang sämtliches Parkett abschleifen lassen und lackieren. Bad und Küche fliesen lassen. Die Fliesenbeschaffung war ein eigenes Kapitel. Nicht umsonst hieß die D-Mark in der DDR „blaue Fliesen“. Und einen Haufen neue alte Möbel kaufen. Im Leipziger Gebrauchtwarenhaus – so hieß das damals. Es gab noch sehr schöne alte Möbel – zu dieser Zeit, weil die meisten lieber Schrankwände wollten.

Kurz vor Moritz‘ Geburt war fast alles fertig. Es war Ende September, es wurde kalt. – Diese Wohnung – und vor allem die Küche – wurden später zu einem kleinen Kulturzentrum für die Künstler- und Musikerszene der Stadt Leipzig. Jeden Tag, tatsächlich jeden Tag, gingen Leute ein und aus. Schade, dass ich so viel vergessen habe. Schade, dass ich kein Tagebuch geführt habe. Als wir die Wohnung einweihten, kamen Wolf-Rüdiger Raschke, der damalige Band-Chef von „Karussell“ und Jochen Hohl, der Schlagzeuger, und öffneten eine große Flasche Sekt. Der Korken sprang so heftig an eine der Pralinendecken, dass es den ersten Fleck gab. Viele weitere sollten folgen. Hier wurde gelebt, geliebt, geweint, geschwatzt und getratscht, musiziert und gemalt, gestritten, dramatisiert, belauscht und geflüstert, gegessen, getrunken und vor allem – geraucht. Dazwischen immer unsere Kinder und deren Freunde. Heute sage ich: Es war ein gutes Leben. Und: Ich möchte es nicht noch einmal erleben. – (Man beachte die einsame Kerze ohne Kerzenhalter. Wir haben damals noch nicht so viel an Sicherheit gedacht. Die Tür stand immer offen und war nie abgeschlossen. Wer wollte, ging einfach rein. Unvorstellbar heute)

Herzens- und Schmerzensmann – Mein Sohn Robert Gläser II

Ich muss noch einmal über meinen ältesten Sohn Robert schreiben. Er hat mich wieder einmal beeindruckt. Gestern im „Bi Nuu“ in Berlin-Kreuzberg hat er ein zweites Konzert zu seinem Album „Robert Gläser“ gegeben. Dieses Mal hab ich mich nicht von all den Freunden und beinahe Verwandten ablenken lassen, denn die waren gar nicht da. Zum größten Teil nicht. Dieses Mal habe ich zugehört. Es gab familiäre schwerwiegende Gründe, dieses Konzert vielleicht sogar abzusagen. Aber Robert wollte es nicht. Denn „Mugge geht vor Katastrophe“ – ein altes Sachsen-Gebot der im Musikgeschäft tätigen Szene. Ich weiß, dass er im Backstage-Bereich eine Flasche Baldrian zu sich nahm und dass es ihm nicht gut ging. Ich hatte große Befürchtungen, bin ich doch stets ein Seismograph, der im Hintergrund die „Bösen“ wahrnimmt und dann regelmäßig Depressionen bekommt, weil die „Bösen so böse sind“ und das auch noch von sich geben. Ich kenn das noch von den Auftritten meines Ehemannes Peter Cäsar Gläser. Da stand ich im Hintergrund und registrierte diese „Bösen“, die ihn nicht mochten, mit schöner Regelmäßigkeit. Heute frage ich mich, warum waren die – da! – Ich weiß nun, wer bei Roberts Konzerten anwesend ist, liebt Robert genauso, wie ich ihn liebe. Aber: ich beobachtete – aus meiner Rückhalt-Position – auch Menschen, die da einfach – vielleicht auch als Touristen – so hereingeraten waren. Einer kaufte die CD und ein passendes T-Shirt und meinte: „Ich dachte erst, das ist so ein Wendler-Typ, aber das ist der gar nicht. Der ist ja großartig.“ Ich sah junge Mädchen, die tanzten und wippten bis zum Schluss. Die waren höchstwahrscheinlich die Freundinnen der sehr jungen Vorband. Hat mich gefreut. Robert war in seiner seelenverletzten Art zu Sein tatsächlich großartig. Denn ich weiß, ihm war nicht großartig zumute. Und ich – als Mutter – hatte sehr viel Angst, dass alles schiefgehen würde. Aber – auf die Bühne kam wieder einmal dieses Kraftpaket, der Mann „wie ein Baum“, der mit dem Publikum eine einzigartige Symbiose eingeht. Er vergaß Texte, er fing noch mal an, er brach in Tränen aus, er zeigte alle Seelenzustände, die ein Mensch haben kann. Und die, die gekommen waren, ihn zu hören, verstanden: Ich bin ein Mensch! – Ich habe meinen Sohn selten so stark erlebt. Und ich weiß, dass er es nicht so sieht, dass er glaubt, er hätte alles besser machen können. Wie er das immer glaubt, egal, wie gut etwas war. Nein! Stimmt nicht. Es war genau richtig. Alle, die da waren, hat er glücklich gemacht. Großer Dank auch an eine großartige Band, die ihn begleitet und unterstützt hat – und an alle anderen Helfer. Ein wunderbares Konzert – auch für die Pessimistin, die ich wohl immer sein werde. Ich bin stolz, so einen starken und kreativen Sohn zu haben.