Otto Mellies – in diesem Moment war er ein ganz normaler Mensch

Otto Mellies. Er war in meiner Kinderzeit DER Fernseh- und auch Filmschauspieler in der DDR. Auch ein begnadeter Theater-Tragöde. Besonders durch „Dr. Schlüter“, ein Fernsehfilm in mehreren Teilen. Wie er in seiner Biografie schreibt, wurde er von Taxifahrern mit „Bitte, Herr Doktor“ ins Taxi gebeten. Der Brinkmann-Effekt. Nur, dass Dr. Schlüter natürlich viel politischer war. Und so war Mellies auch das, was ich einen Staatsschauspieler nennen würde. Aber dennoch ein sehr guter Schauspieler. Ich habe – wie schon gesagt – seine Biografie gelesen, die ich sehr interessant fand. Sie weckte viele Kindheitserinnerungen. Andererseits blieb er auch ein bisschen im Nebulösen. Er gab nicht alles von sich preis, was ich ihm nicht übel nehme, es ist nicht jedermanns Sache, die großen Gefühle in die Welt zu schleudern, wenn sie nicht gespielt sind. Vor ein paar Jahren stand er vor meinem Studio im Rundfunkhaus in Berlin, da, wo ich meist arbeite. Er sollte etwas einsprechen. Und ich hatte so einen kleinen Stich in der Brust, weil er sich mir vorstellte, obwohl ich genau wusste, wer er ist. Das hat mich gerührt und auch ein wenig aufgewühlt. Weil er in diesem Moment ein ganz normaler Mensch war. Und ich hatte ihn sehr sehr gern und er hat mir ein Stück Kindheit und Jugend wieder gegeben. Er war im Alter meiner Eltern. Nun ist er von uns gegangen. Und ich bin traurig.

Die nach Schweiß riechende Frau Kornedt. Puh, wenn ich von der Schule nach Hause kam, roch die ganze Wohnung nach ihr.

Ach, DDR. Ist ja neuerdings so ein Sehnsuchtsort.  Die Sozialisten, die Vergemeinschafter, scheinen auf dem Vormarsch zu sein. Doch waren wir so vorbildlich sozialistisch, wie es die Erzählung gern hätte? Wir – das waren die supersozialistischen Eltern, mit denen ich gestraft war. Wir, das waren die, die denen vorangingen, die sich heute immer noch – gemästet vom gern und glühend geschmähten Kapitalismus – darin gefallen, ihren Ast, auf dem sie es sich mittlerweile so gemütlich gemacht haben, abzusägen. Denn die Sozialisten/Kommunisten haben wohl kapiert, dass sie sich’s in ihm, dem Kapitalismus, gemütlich machen können. Seine Vorteile ausnutzen und gleichzeitig dieses Wirtschaftsmodell für die eigenen Fehler verantwortlich machen. Was kann es Schöneres geben! – Da fällt mir Frau Lösche ein, unsere super Haushaltshilfe, die alles konnte und alles richtete, die sogar Weihnachtsschmuck in der Wohnung anbrachte, ohne darum gebeten zu werden. Wir hatten immerhin in Lauchhammer – dieser proletarischen Braunkohle-Klein- und Industriestadt – eine Haushaltshilfe, damit die Mutter sich selbstverwirklichen konnte. So toll und omnipotent, wie sie sich gern darstellte, war sie dann auch nicht. Ich blende das immer aus, dass wir ständig Haushaltshilfen hatten. Die nach Schweiß riechende Frau Kornedt. Puh, wenn ich von der Schule nach Hause kam, roch die ganze Wohnung nach ihr. Da wüsste ich gern, wie die Eltern solche Leute kennengelernt haben. Sicher war das über irgendwelche Beziehungen. Und niemanden kann man mehr fragen. Schade, dass Tante E. auch langsam durchdreht und man ihr nicht glauben kann. Was man auch bei dieser Suche nach der richtigen Zeitung von den Weltfestspielen Anfang der Fünfziger sieht. Sie bildet sich ein, auf dem Titelblatt gewesen zu sein. Aber wenn man nachforscht, was ich ja getan habe, gibt es dieses Titelbild nicht. So kann man sich seine Vergangenheit zurechtlügen und glaubt am Ende selbst dran. Ich bin da sicher auch nicht frei davon. Und wer weiß, was von dem stimmt, was unsere Mutter so erzählt hat. Wenn ich angestrengt nachdenke, fällt mir nicht viel ein. Dass sie mal mit verpasstem Start Kreismeisterin im Schwimmen vom Kreis Aue war. Aue, eine Stadt in Sachsen, eine der Stationen auf dem langen Weg zur Oma. Von Lauchhammer nach Johanngeorgenstadt, meine beschwerliche Reise, als ich 8 bis 12 war. Bin ich da allein gefahren? Leider weiß ich es nicht mehr und kann keinen mehr fragen. Alle sind tot, die es wissen könnten. Alle sind tot. Auch meine Kinder und Enkel irgendwann. So ist das Leben, es ist eine grausame Angelegenheit oder der Tod ist gar nicht schlimm. Vielleicht ist er doch eine Offenbarung. Oder das Licht geht aus. Und alles ist vorbei. Man spürt nichts mehr, man merkt nichts mehr. Alles umsonst gewesen, all die Aufregung, all die Liebe, all das Sorgen, alles umsonst.