Tüte des Alltags und der Lüfte

Seit zwei Jahren ärgere ich mich über eine weiße Plastiktüte, die sich in einem Baum verfangen hat, wenn ich aus dem Küchenfenster schaue. Sie schaukelt im Winter im Wind, weiß und allein. Im Sommer versteckt sie sich unter Blättern. Verlässlich da. Immer. Gestern machte ich ein schönes Abendrotfoto aus dem Küchenfenster heraus und dachte: Kannst Du blöde Tüte nicht einfach mal wegfliegen! – Vorhin schau ich so im Vorbeigehen vorn aus meinem Arbeitszimmer auf die Straße und – was sehe ich? Eine weiße Tüte hängt im Baum. Das wird doch nicht „meine“ Hinterhof-Tüte sein? Geh in die Küche und schau nach. Sie ist es. SIE IST ES. Denn sie ist nicht mehr da, wo sie seit zwei Jahren hingehörte. Flog über das große Haus und – bleibt dennoch bei mir. Vielleicht sollte ich der Tüte einen Namen geben. Ich nenne sie Angela. Angela die Himmlische.

Foto: Gestern Abend beim Sonnenuntergang aus dem Küchenfenster fotografiert.

Schuhe. Schränke. Sinfonien.

Ich schreib so vor mich hin. Was mir durch den Kopf geht. Zum Beispiel meine neuen Schuhe von Giesswein. Ich schwöre, ich kenne diese Firma nicht persönlich, aber ich habe bisher schon fünf Paar Schuhe dort gekauft. Sie sind einfach Garanten meines beschwerdefreien Gehens. Ich bin nicht mehr im High-Heels-Alter. Da muss ich an das komische Bild denken, dass irgendjemand, möglicherweise mein Vater, von mir in Leipzig in der Wohnung meiner Großeltern aufnahm. Da hab ich noch nicht an beschwerdefreie Schuhe gedacht und stehe vor dem großen Bücherschrank, den meine Eltern von meinen Großeltern zur Hochzeit geschenkt bekamen. Eine Art Neoklassik oder was auch immer. Aber Holz. Heute besitzt meine Enkelin Anna den Schrank, den sie zunächst nicht haben wollte, sie war noch im IKEA-Wahn. Mittlerweile hat sie begriffen, dass alle jungen Leute identische Wohnungen haben, dank IKEA. Und plötzlich findet sie es gut, mal ein anderes Stück zu besitzen, das ihre Wohnung ein bisschen anders macht. Dazu hat sie sich einen hölzernen Tisch per ebay-Kleinanzeigen gekauft, den sie auf ihrem Rücken in der Berliner U-Bahn beförderte – von Wohnung zu Wohnung. Tja, nun zum Foto: Man kann auf diesem Foto sehen: Auch aus Menschen mit bescheuerter Pony-Frisur kann noch etwas werden. Ich meine mich. Das bin ich – auf diesem Foto. Alle, die mich kennen, können das kaum glauben. Interessant finde ich diesen – ich weiß nicht, ob man das damals sagte – Trainingsanzug. Er hat eine Reißverschlussbrusttasche und auch die Hose ist so voluminös, dass man meinen könnte, sie entstamme einem Science-Fiction-Film. Dazu nochmals Taschen. Das kann doch keiner in der damals so ärmlichen DDR genäht oder gekauft haben? Oder war es doch meine göttliche Großmutter, die Schneiderin, die mir dieses Teil verpasste, das mich wie eine Wrestling-Kämpferin aussehen lässt. Allerdings im falschen Film und Alter. Dazu dieser Pony. Ach, ich wiederhole mich. Was solls. Ich zeige es, das Foto. Es spielt keine Rolle mehr. Wir sind ja alle so Corona. Was spielt noch eine Rolle? Wenn ich darüber nachdenke, kommt mir eine Melodie in den Sinn. Mein Ohrwurm in diesen Tagen. Das neue Werk meines ältesten Sohnes Robert Gläser. Es hat wirklich einen tricky Text. Was im Englischen eher schwierig heißt. Schwierig ist der Text nicht, nur unterschiedlich interpretierbar. Jeder interpretiere für sich selbst. Ich finde, es ist ein Text für all jene, die nicht wissen, was sie tun sollen. Mach Dein Leben groß, so groß es eben geht! Sonst ist es eben keine Sinfonie, sondern eine kleine Melodie. Was auch nicht schlimm ist. Ich aber – so alt ich auch bin – will das Leben immer noch zu meiner Sinfonie machen – bis zum Finale. Meiner Lebenssinfonie. (Den Link zum Video finden Sie im Anhang)

(2) Robert Gläser – Lebenssinfonie (Offizielles Video) – YouTube