Winken und es scheußlich finden. Und dann in den Stadtpark…

Der 1. Mai. Der Kampf- und Feiertag der Internationalen Arbeiterklasse nannte er sich. Bei uns in der kleinen DDR. Feiertag war schonmal gut. Schulfrei auch. Und dann mit den Eltern zur Demonstration gehen. Die bestand darin, sich zu treffen, mit den Arbeitskollegen der Eltern und dann – wenn wir „dran“ waren – an den örtlichen Chefs von Partei und Regierung vorbeizudefilieren. Und natürlich – ganz wichtig – zu winken. Sie standen oben auf der Tribüne. Wir waren unten. Danach löste sich das Ganze auf und dann kam das, was ich liebte. Die Bockwurst. Und die Limonade. Denn überall waren Buden aufgestellt. Die Musik spielte. Auch etwas, das ich liebte. Und, als ich noch klein genug war, auf den Schultern des Vaters sitzen und ein Fähnchen schwenken. Wie war das schön! Erst später habe ich meine Mutter gefragt, was das für eine Demonstration ist, wenn wir den Oberen des Staates und der Partei zuwinken und sie milde zurück. Von ihrer Tribüne. Darauf konnte sie mir keine befriedigende Antwort geben. Sie war schon so gehirngewaschen, dass sie noch nicht einmal meine Frage verstand. Es war nun einmal so. Dass so etwas keine „Demonstration“, wie wir es u. a. in der Schule gelernt hatten, war, merkte ich ziemlich schnell. Und ich hasste nichts mehr, als mit vierzehn Jahren, als ich schon schwer pubertierend war, als ich mich schon schminkte, als ich nach den Jungs bei der Demonstration schaute und nicht nach den greisen Winkenden oben auf der Tribüne, dass ich mit einem lächerlichen Pionierhalstuch gehalten war, daran teilzunehmen. Ich ging mit Pionierhalstuch aus dem Haus und hatte nichts Eiligeres zu tun, als dieses abzulegen und dann gelangweilt den Treffpunkt unserer Schule aufzusuchen. Die Demo zu absolvieren. Winken und es scheußlich finden. Und dann in den Stadtpark. Immer noch Bockwurst, immer noch Limonade. Aber nun Jungs schauen, die es reichlich gab. Und wenn es ganz wunderbar wurde, in den Mai tanzen.