Niemals Fahrstuhl fahren – wir blackouten uns – mit einem Prosit auf die Klimaerwärmung!

„Ich hab gerade von Marc Elsberg „Blackout“ gelesen. Da geht es darum, dass in ganz Europa und später auch noch in den USA der Strom ausfällt. Und zwar nicht nur für ein paar Stunden, sondern für eine unabsehbare Zeit. Man kann nicht mehr die Toilette spülen, denn es gibt kein Wasser. Man kann nicht mehr tanken, denn die Tanksäulen funktionieren nur mit Strom. Die Supermärkte schließen, weil es keinen Nachschub gibt, Licht und Kassen nicht funktionieren, die Banken schließen, weil sie kein Bargeld mehr haben. Die Krankenhäuser schließen, weil die Notstromaggregate zu Ende gehen. Die Kühe sterben, weil sie nur elektrisch gemolken werden können. Die Menschen werden in Notunterkünften untergebracht. Es gibt zentrale Essensverteilung, die aber auch nicht funktioniert. – Anarchie. Schwarzmarkt. Raub und Mord. Kommunikation funktioniert natürlich auch nicht mehr. Überleben eben. – Da hab ich mir überlegt, ob ich mir mal einen vierzehn Tage-Überlebensvorrat zulege. Und wo gibt es ein Notstromaggregat? – Ich muss sagen, das war kein unwahrscheinliches Szenario…“ – Achtung: Das schrieb ich am 9. September 2012 auf Facebook.

Und erntete wohl eher ein Lächeln. Elisabeth mal wieder! Hysterische Elisabeth. Ängstliche Elisabeth. Die, die immer Stress machen muss. Ja, machte ich. Ich kaufte damals ein Reservoir an Lebensmitteln, Kerzen und Wasserbottichen. So fünf Liter-Plastik-Gebinde bei REWE, die es noch reichlich gab. Sie wurden im Keller gebunkert, den es heute nicht mehr gibt. Komischerweise habe ich nicht – so wie heute – wahrhaftig daran gedacht, ein Notstromaggregat zu kaufen Und mit den Jahren vergaß ich beinahe, dass ich mir nach der Lektüre von Elsbergs – immerhin – Bestseller nur zu gut vorstellen konnte, wie unsere Zivilisation zusammenbricht. Dass ich mir Gedanken machte, wie tauglich ich in einer rauhen, unzivilisierten Gesellschaft sein würde. Wie ich reagierte, wenn es einen Bürgerkrieg gäbe. Sollte ich mir Waffen zulegen? Oder Bücher lesen, wie man sich selbstversorgt?

Meine Umgebung befand, dass das alles nicht wichtig wäre, für diesen Fall hat die Regierung bestimmt schon an alles gedacht. Es gäbe in Berlin-Charlottenburg alte Brunnen auf manchen Straßen. Und es gibt ein Technisches Hilfswerk, es gäbe Polizei und Feuerwehr und viele andere Helfer. Die wurden dann 2015 gebraucht, als die Göttliche Kaiserin geruhte, die Grenzen grenzenlos zu machen. Zumindest hier bei uns im gelobten Land, in dem wir gut und gerne lebten. Ein anderer Sturm kam über uns und wir hatten genug zu tun, diesen zu bewältigen.

Ich dachte nicht mehr oft an einen Blackout, nur ab und an nagte das Thema an mir. Zum Beispiel als unser damaliger Innenminister – na, wie hieß der? — er hieß Thomas de Maizière – bei einer Pressekonferenz plötzlich zu Vorräten riet. Er wollte den Bestseller-Titel zitieren, doch fiel ihm dieser nicht ein. Er hatte ihn nicht gelesen. Die Redenschreiber fabrizierten ihm den Bestseller ins Manuskript. Und er musste mal schnell „nach hinten“ den Titel erfragen. „Blackout“, Herr Innenminister, Frau Innenministerin heute! Blackout, das weiß nunmehr jeder. Das Internet ist voller Ratschläge. Die Online-Händler haben (noch) gefüllte Lager mit allem, was das stromlose Herz begehrt. Die Preise steigen und steigen. Wer jetzt noch nichts hat, sollte sich sputen. Denn: Blackout ist in aller Munde. Gern verwechselt mit einem „einfachen“ Stromausfall. Ja, ich habe mich, ohnehin seit zehn Jahren angefixt, schlau gemacht. Ein Blackout ist ein Stromausfall, der ganz Europa erfassen würde. Und nicht nur ein paar Stunden, nicht nur einen Tag, sondern viele Tage, im schlimmsten Fall sogar Wochen. Im allerschlimmsten Monate. Das Ende der Zivilisation, wie wir sie seit fast achtzig Jahren kennen.

Wir kennen keine Hungersnöte, keinen Wassermangel. Wir wissen nicht oder nicht mehr, wie es ist, im Winter in unbeheizten Wohnungen zu bibbern. Wir wissen nicht, was Hunger und Durst über einen längeren Zeitraum wirklich bedeuten. Werden die Menschen sich gegenseitig helfen? Werden sie sich bekriegen bis auf das letzte Brot oder den letzten Tropfen Wasser? Schaut man in die Geschichte, gibt es Beispiele für alles. Für beispiellose Solidarität und Hilfe. Aber auch für die wilden ungezügelten grausamen Seiten des Menschen, der zum Tier werden kann, wenn er überleben will.

Meiner Enkelin Anna habe ich eingeschärft, keinen Fahrstuhl mehr zu betreten. Für Berlin hat man ausgerechnet, dass es fünf Tage dauern würde, alle „Steckengebliebenen“ zu befreien. Wieviele das überleben, fällt nicht schwer auszurechnen. Vor ein paar Tagen fragte ich Anna, ob sie sich an mein „Gebot der Stunde“ hält. Sie antwortete mir mit dem Charme der Jugend: „Ja, Oma, ich steige in keinen Fahrstuhl mehr. Nur zu Hause!“ (Sie wohnt in einem Fahrstuhlhaus im 5. Stock) – Nun ja, kann ich verstehen. Wer steigt schon gern täglich in den fünften Stock. Ich würde vielleicht auch denken: Dieses eine Mal wird es klappen. Geht ja schnell! – Genauso schnell kann es gehen, dass der Strom ausfällt. Das wird nicht angekündigt, sagen die Blackout-Experten. Sohn Ben wiederum meint, ich sei eine unverbesserliche Misanthropin, die auf die Kapitalisten reinfällt, welche das Gerücht streuen, um, ja um auch daran zu verdienen! Nun ja, das Sozialisten-Leben ist leicht. Säuberlich eingeteilt in Gut und Böse. Ich höre mir alle Für und Wider an und bereite mich vor. Schließlich haben wir schon immer Versicherungen, die wir selten oder nie brauchen. Und das ist gut so. Ein Notstromaggregat ist eine Versicherung. Essensvorräte sind eine Versicherung. Wasserflaschen auch. Taschenlampe und Kerzen. So viel Platz muss sein. Dass die Zeiten nicht rosig sind, hat ja – vielleicht außer denen, die nur ÖRR schauen – jeder begriffen. Und selbst dort im Regierungsbeklatsch- und -begleitmedium: Das ZDF sendete kürzlich einen längeren Blackout-Beitrag, so hörte ich. Denn, was das ZDF mir zu sagen hat, weiß ich längst.

Nun harren wir der Dinge, die da kommen oder – wenn wir sehr viel Glück haben – nicht kommen. Selbst ein Ideologe, wie der Herr Habeck, hofft auf die Klimaerwärmung, die er doch sonst so erbittert bekämpft: Angst vor einem Grad mehr in 2050. Aber keine Angst vor zwanzig Grad mehr im Winter 2022. Ach, Robert, Dein Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen.

Ich wünsche uns , dass wir den Winter ohne schlimme Blessuren überleben. Meine Enkelin Anna interessierte sich in erster Linie dafür: Wie trifft sich die Familie beim Blackout? Das fand ich rührend. Ein Prosit also – auf die Klimaerwärmung!

Foto: Ein paar Vorräte

Kalte Winter – Kohlen und Kartoffeln – und die gute alte Stromsperre – Leben in einem untergegangenen Land

Sie klammerte sich an mich. Zitternd betraten wir das düstere Zimmer. Aus unseren Mündern kam weißer Nebel. Hinten in der Ecke brannte ein gedämpftes Licht. Vorn stand ein weißer Schrank. Rechts zwei Betten, bedeckt mit Kopfkissen und Federbett. Eiskalt. Die galt es zu erwärmen. Jeden Abend. Deshalb schlief sie mit in meinem Bett. Ich war die Große, sie die kleine Schwester. Wir lagen unter dem dicken Federbett – mit angezogenen Beinen. Ganz langsam, Stück für Stück, streckten wir sie in die Waagerechte. Wir umarmten uns wie zwei Ertrinkende. Wir froren, bis irgendwann das Federbett seine Wärme entfaltete. Ich erzählte Gruselgeschichten. Sie lauschte begierig. Sie war sieben Jahre jünger, da konnte ich noch brillieren. Meist schliefen wir schnell ein. Auf uns wartete ein kalter Morgen. In dieser Wohnung in Leipzig war alles kalt. Grundsätzlich heizten wir – im Besitz von fünf Zimmern mit Parkett und Stuck, Küche, Bad, sehr großem Flur und Gästetoilette – ein Zimmer. Mit einem Kachelofen, für den mein Vater die Kohlen aus dem Keller holte. In der Küche heizte nur meine Oma, wenn sie da war. Es stand dort ein altmodischer Mehrzweckherd. Ein Küchenofen, mit dem man Heizen, Kochen und Wasser erwärmen konnte. Mit Holz und Kohle. Einen elektrischen Boiler gab es nicht. Wasser musste auf dem Herd oder mit einem Tauchsieder erhitzt werden. Gebadet wurde einmal in der Woche. Wir hatten immerhin ein Bad, eiskalt, mit Badeofen.

Wir bestellten jedes Jahr beim Kohlenhändler unsere Kohlen oder Briketts, die in den Keller getragen wurden, je nach Laune der Kohlenmänner und dem zu erwartendem Trinkgeld, oder eben nicht, dann mussten wir sie selbst reintragen. Manche Familien stapelten die Briketts ordentlich auf, unsere Eltern nicht, die hatten dafür keine Zeit und uns muteten sie das Gottseidank nicht zu.

Wir bestellten jedes Jahr beim Gemüsehändler Kartoffeln – die wurden ebenfalls „eingekellert“. Das taten alle in der DDR, zumindest die in den Städten. Kohlen und Kartoffeln überdauerten den Winter im Keller. Beides ging gen Frühjahr zur Neige, die Kartoffeln „keimten“ in Weißlila.

Der Keller war ein wichtiger Raum in den kalten Wintern. Kohlen und Kartoffeln. Außerdem Regale mit eingekochtem Obst und Gemüse. Der Keller diente den Nicht-Kühlschrankbesitzern als Kühlmöglichkeit, wobei im Winter auch vieles auf den kalten Fensterbrettern oder in unbeheizten Zimmern aufbewahrt wurde.

Wir Kinder liebten den Winter, fuhren Schlitten, bewarfen uns mit Schneebällen und schlitterten über jede gefrorene Pfütze. Wir trugen selbstgestrickte kratzige Pullover und Trainingshosen und -jacken. Wir trugen Leibchen, an denen Strümpfe befestigt waren. Strumpfhosen gab es noch nicht. Viele hatten Skischuhe an. Glücklich, wer einen warmen Anorak besaß. Schals und Mützen wurden gestrickt. Und natürlich Handschuhe. Ich hatte bis zur Schulzeit noch einen Muff, in dem ich die Hände vor der Kälte verstecken konnte.

Höhepunkt der kalten dunklen Zeit war das hellerleuchtete Weihnachtsfest mit Gänsebraten und Geschenken. Puppen, Puppenhäuser und Eisenbahnen, wenn man Glück hatte und Eltern, die über etwas mehr Geld verfügten. Von Kindern, deren Familien sehr wenig hatten, hörte ich auch, dass es keine Geschenke gab, dass das gute Essen Weihnachten genug sein musste. Ab den Sechzigern gab es zunehmend Fernseher. Wir hatten ab 1961 einen. Wir liebten den neuen Kinoblick aus den Wohnungen. Meister Nadelöhr, Zeichentrickfilme, Professor Flimmrich und in der Woche am Nachmittag das Testprogramm. Das waren unsere Handys, während Tanten und Großmütter noch Mensch-ärgere-Dich-nicht, Dame, Mühle, Halma und Karten spielten. Mein Vater spielte einmal in der Woche mit wechelnden Partnern Schach im Arbeitszimmer.

Nach Weihnachten und einem meist mit viel Alkohol und Papphütchen gefeierten Silvester kamen noch die bitterkalten Monate Januar und Februar. Oft war es nicht möglich, Schulen ausreichend zu heizen. Ich kann mich an ein Jahr erinnern, in dem wir mehrere Wochen schulfrei hatten. Wir holten uns morgens in der Schule die Hausaufgaben ab und gingen wieder nach Hause. Wir Kinder freuten uns darüber, die Eltern nicht. Vielleicht hatten wir deshalb immer im Februar – dem Wintermonat, der einfach zu viel war – drei Wochen Winterferien.

Im Frühling freuten wir uns auf die Sonne und darauf, dass das Frieren ein Ende hatte, dass es morgens zeitig hell wurde und wir demnächst in die Badeanstalt gehen konnten. Das war unser sommerlicher Hauptaufenthaltsort. Unsere Sommer waren heiß und sonnig. In meiner Erinnerung immer. Höhepunkt: Zwei Monate Sommerferien im Juli und August. Wir vergaßen das Frieren und die Dunkelheit. Mit meiner Schwester hüpfte ich abends fröhlich und leicht bekleidet ins Bett. Die Federbetten wurden eingemottet.

Last but not least. Stromsperren waren an der Tagesordnung. Dafür hatten wir Kerzen und Taschenlampen. Wir fanden es so spannend, wie Herr Habeck es vermutlich in seinen Kinderbüchern beschreibt. Wer Gas hatte, konnte zumindest Kochen. So eine Stromsperre dauerte bisweilen Tage. Wir Kinder fanden es lustig und gespenstisch. Die Eltern nicht.

Mitte der Sechziger Jahren zog meine Familie nach Magdeburg. Mein Vater bekam eine Berufung zum Professor an der damaligen Technischen Hochschule. Wir wohnten plötzlich in einer winzigen Neubauwohnung. Mit Fahrstuhl und Müllschlucker, der nach kurzer Zeit für immer kaputt war. Erstbezug. Vier Personen in zweieinhalb Zimmern. Und es war herrlich. Hauptattraktion: Warmes Wasser „aus der Wand“. Ich konnte es kaum fassen, dass wir baden und duschen konnten, so oft wir wollten. Dass man abwaschen konnte, ohne Wasser mit dem Tauchsieder zu erwärmen. Dass eine Heizung lief, die meine Mutter dazu trieb, im Bikini durch die Wohnung zu laufen. Die Heizungen waren noch so konstruiert, dass man sie nur an- oder ausschalten konnte. Die einzige Regelmöglichkeit war, das Fenster zu öffnen. Im bitterkalten Winter. Und das taten wir zeitweise. So eine Wohnung kostete ca. 65 Mark. Den Begriff „warm“ für Miete gab es nicht. 65 Mark plus Stromkosten, die ebenso billig waren. Es war warm. In den Neubauten. Die Altbauten blieben kalt und verfielen. Die Trabantenstädte mit immergleichen „Platten“ breiteten sich in allen größeren Städten aus. Die DDR-Parteiführung hatte sich vorgenommen, das Wohnungsproblem bis 1990 zu lösen. Ab 1974 gings dann bergab. Die DDR verstaatlichte alles. Auch die Klein- und Mittelbetriebe, die es bis 1972 noch gab. Das war meiner Meinung nach einer der größten Fehler. Hinzu kam die weltwirtschaftliche Ölkrise.

Wie haben wir als Teenager diese Zeiten überstanden? Gut. Wir waren jung und verliebt. Es war eine aufregende Zeit – der Hormone und des damit verbundenen Wirrwarrs. Alles andere nahmen wir hin, wie es eben war. Wir kannten nichts anderes und arrangierten uns mit dem Mangel. Sehnsüchtig schauten wir westliche Werbung. Wer Jeans und Rollkragenpullover von „Drüben“ hatte, war der King oder die Queen.

Als wir erwachsen waren, hatten wir meist schon Kinder und geschiedene Ehen. Wohnten in selbst renovierten und sanierten Altbau-Wohnungen mit Gasheizungen, falls wir viel Energie oder das Glück hatten, Material für den Selbsteinbau irgendwo her zu organisieren oder zu tauschen. Der Run auf die Neubauwohnungen hielt bis zum Ende der DDR an. Die Westdeutschen, die dann zu uns – damals schon in Berlin – kamen, wunderten sich mir gegenüber oft, dass in den „Platten“ Arbeiter und Professoren einträchtig nebeneinander wohnten. Wir zuckten mit den Schultern. Wir waren ein Arbeiter- und Bauernstaat und die „Intelligenz“ war – bis auf wenige Ausnahmen – unser Freund. Und Schnaps gabs immer reichlich.

Vorläufiger Schlusssatz: Uns gelernte DDR-Menschen erschreckt so leicht nichts. Auch wenn wir uns an den westlichen Wohlstand gewöhnt haben und eine Generation herangewachsen ist, die das alles nicht mehr kennt. Viele haben, wie ich, das Land DDR vor dem Mauerfall verlassen oder sich ein anderes Leben auf der Straße erkämpft. Das, was jetzt kommt, haben wohl die meisten nach 1989 nicht für möglich gehalten. Deshalb berichte ich. Denn „ich komme aus der Zukunft“ (Michael Klonovsky).

Foto: Ich im erzgebirgischen Winter mit einem Muff.