Endlich Siebzig – Oder: Man ist so alt, wie man sich fühlt!

Zunächst steht da dieser saublöde Satz. Ich sage: Nein! Man ist nicht so alt, wie man sich fühlt! In jungen Jahren fühlt man sich zumeist älter und auch irgendwie weiser, als die Anderen denken. Jedenfalls selten übermäßig jung. Oder will noch nicht einmal jung sein, weil man es eben IST. Später, genau ab dem Moment, in dem man den magischen Satz, dass man so alt oder eben so jung sei, wie man sich fühle, erstmalig von sich gibt, ist man alt. Oder älter. So alt, dass man gern wieder jünger wäre. Es kommt der Moment, an dem ein jeder oder insbesondere eine jede begreift: Ich bin nicht mehr jung. Und das kommt auch nicht wieder. Es hieß in den Neunzigern in entsprechender Frauenliteratur feministischer Art drohend: Eine Frau stirbt zweimal – als Frau, das wäre Nummer 1 – und als Mensch, die Nummer 2. Oder das Ende. Ich sage immer zu meiner Enkelin: Jede Frau hat ihre Zeit! Nutze sie!

70 also. Meine Familie hat mich überrascht. Ich dachte, ich könnte diesen Geburtstag verstecken. Hatte niemanden eingeladen, wie ich es normalerweise immer tue, es war auch mitten in der Woche. Da hat ohnehin keiner Zeit. Sie hatten Zeit. Ich musste mich um nichts kümmern. Ein Blumenmeer, für mich extra angefertigter Wein mit Elisabeth-Etikett, eine gemietete Kneipe oder Gaststätte, wie der Ostler sagt, hier in Magdeburg. Alles dabei. Und ich mit Tränen in den Augen – natürlich nagte am Ende das schlechte Gewissen an mir. Am Geburtstag mit reichlich Weißwein unterdrückt. Ich merke immer wieder, wenn ich nicht die Kontrolle habe – über irgendein Geschehen, und sei es der eigene Geburtstag – habe ich Probleme. Mit mir. Es wird sich in diesem Leben nicht mehr ändern.

Nun ist es also soweit. Ich bin so alt, wie meine Oma war, als sie gestorben ist. Meine böhmisch-brasilianische Oma, der erst prägende Mensch in meinem Leben. Von Jahr zu Jahr ist sie mir näher. Ich beginne, mit ihr zu reden. Vielleicht lacht sie längst über mich. Weil ich so wehleidig bin. Weil ich morgens beim Aufstehen denke, heute geht aber gar nichts mehr. Es läuft sich dann ein. Ich trinke Wermut-Tee, wie sie es immer getan hat. „Hilft gegen alles!“. Ich studiere alte Fotos. Damit ich die neuen nicht sehen muss. Ich räume die Wohnung auf und denke über den Sinn des Lebens nach. Es hat keinen. Wohnung aufräumen gehört bestimmt auch nicht dazu. Der einzige Sinn, den es letztlich für mich haben wird, sind meine Kinder und Enkel. Ich danke Gott und mir, dass ich sie habe. In letzter Zeit stelle ich mir vor, wie es wäre, könnte ich sehen, wie sie sich an meinem Grab verhalten. Mit Siebzig darf ich das.

Der Sinn liegt garantiert für mich nicht darin, hippieesk zu tun, „was ich schon immer mal tun wollte“. Das liest man ja allenthalben. Da nimmt so eine wilde Großmutter ihr ganzes Geld zusammen, kündigt die Wohnung und kauft sich einen fahrbaren Wohnwagen. Und tourt fortan durch die Welt. Ich nicht. Ich will so ein Gefährt nicht. Ich hasse es auf Parkplätzen herumzulungern, in Kneipen zu essen, auf fremde Klos zu gehen, unter lieblos gechlorten Duschen zu stehen und fremde Menschen kennenzulernen. Ich will keine fremden Menschen mehr. Ich will die, die ich kenne. Die ich schon mein Leben lang kenne. Das Vertraute ist das Wahre. Das Vertraute ist die Liebe, von der immer alle reden. Das Vertraute ist das wahrhaft Geliebte. Liebe ist Vertrauen.

Alt werden ist nicht erstrebenswert. Dass ich weiser bin am Ende, als die Jüngeren, wäre ein Trost, aber keine Garantie. Jünger werden, ist auch keine Lösung, es führt mich in den Uterus der Mutter. Auch ein Tod. So rum oder so herum. Es ist egal. Früher hieß es immer: Ich möchte nochmal zwanzig sein, aber so klug, so gescheit, wie das damals hieß, wie heute! Gott bewahre, wie sollte ich mit meinem jetzigen Verstand unter Zwanzigjährigen aushalten. Ich weiß heute, dass das unmöglich ist. Es würde mich nur wütend machen, keiner verstünde mich. Ich wäre eine Außenseiterin.

Apropos Außenseiterin: Ich falle immer wieder auf. Ich kann nicht unerkannt in der Menge untertauchen. Obwohl es heißt: Alte Frauen werden unsichtbar. Klar, es ist so, dass die Bauarbeiter nicht mehr von Gerüst pfeifen. Ein Unsichtbar-Sein, das zum erwähnten „ersten Tod einer Frau“ gehört. Daran kann frau sich gewöhnen, weil es zwar ein Zeichen ist, dass die so Gestorbene im Markt der wilden Geschlechter unter den Rost fällt. Doch die Frau mit Geist und Einsicht in das Unvermeidliche wird es nach anfänglichem Erstaunen in die immer größer werdende Alterskiste sortieren und den Marktwert anderweitig steigern. Klar, manche lassen dann die wilde Sau raus. Fahren mit dem Wohnwagen durch das Land, malen erotische Bilder, ziehen in Alters-WGs, töpfern oder – gehen zum Seniorentanz, der neuerdings in Erlebnistanz umbenannt wurde.

Es gibt den bundesweiten Verein für Erlebnistanz, auch im Bundesland Sachsen-Anhalt ist er zu Hause. Der Erlebnistanz. Ja, die Senioren von heute. Wollen keine Senioren mehr sein, obwohl das doch viel edler klingt, als Rentner. Meine Schwägerin tanzt begeistert in Mecklenburg-Vorpommern. Und empfahl es mir, um spielerisch der Bewegung zu frönen. Jetzt überlege ich, ob ich den örtlichen Erlebnistanz mal versuche. Vielleicht fällt mir das Aufstehen am Morgen nicht mehr so schwer. Mein Sohn Ben mahnt in regelmäßigen Abständen: Mutter, Du musst Dich mehr bewegen! Kein Wohnwagen, aber Gartenarbeit und Erlebnistanz! Meine nicht wilde, aber gesittete und bewegungsreiche Zukunft?

Ok, ich habe – welch immer noch großes Glück – meine Enkelin Anna. Der helfe ich beim Studium. Oder ich kaufe seltsame Spielzeuge für meine Jungenkel. Meiner Weisheiten wollen die Jungen noch nicht teilhaftig werden. Ich schaue kein öffentlich-rechtliches Fernsehen, manchmal Netflix und beherrsche die sozialen Medien. Einerseits unterhalte ich, andererseits kämpfe ich. An den notwendigen Fronten. Ich tue mein Bestes. Ich bin Siebzig. Da ist das so.

Foto: Elisabeth auf Leipziger Straße – Mitte Achtziger. Da fand ich mich auch schon alt. Fotografiert von Peter Cäsar Gläser.

Der Scheiterhaufen der Kosmetik hält warm – in diesen kalten Tagen

Warum nicht mal wieder über Mode, Schönheit und so schreiben. Das lest Ihr doch immer wieder gern, liebe Leute, und nehmt gleichzeitig wohlwollend zur Kenntnis, dass ich die Abnahmemethode, die hält, was sie verspricht, immer noch nicht gefunden habe. Dass ich nicht weiß, wie man oder besser Frau das Alter aufhält oder dass ich mittlerweile froh und glücklich bin, wenn im Supermarkt ein junger Mann vor mir in die Knie geht, um etwas aufzuheben, das ich fallen ließ. Einen Euro oder so. Nicht mit Absicht natürlich. Doch noch gebe ich nicht auf. Und vor Kurzem musste es deshalb die – Nivea sein. Nivea Body Gel Q10 Anti-Cellulite. Ich hatte sie eher aus Versehen gekauft und sie entpuppte sich als Kämpferin gegen die allgegenwärtige Cellulite, gern auch Cellulitis genannt, wie Gastritis oder Hepatitis. Eine Krankheit, die entzündet. Cellulitis. Neuerdings im Zeichen des Body-Shaming Cellulite genannt, ohne diese -itis, die eine normal funktionierende Haut zur Krankheit erklärt. Dieses itis-Wort, dieses magisch-finstere Wort für alle weiblichen Wesen menschlicher Natur, die die „unschönen Dellen und Wellen – vorzugsweise an den Oberschenkeln – nicht schätzen und demzufolge bekämpfen. Leider vergebens und mit den unglaublichsten Mitteln. Cremes und Pülverchen, Ultra-Schall, Qual-Exerzitien im Fitnesscenter, Massagen und immer wieder ganz viel Wärme. Sogar in elektrisierende Anzüge schlüpft Frau. Und das Ergebnis. Bitte melden, sofort, die Damen, die mit einem der aufgezählten oder einem noch geheimen Mittel diese Haut, die wildgewordene Orangenhaut, die sich an Orangen und an uns breitmacht, wieder glättet wie einen Kinderpopo!

Die Nivea machte es ganz ordentlich. Beinahe erstaunlich. Und ich abonnierte sie bei Amazon. Monatlich. Bereits im 2. Monat sah sich Amazon nicht in der Lage, die Wundercreme zu beschaffen. Nicht lieferbar. Man bemühe sich und ich könne in der Zwischenzeit doch mal was anderes probieren. Zum Beispiel das „Kräuterhof Anti-Cellulite Gel – Zur Verbesserung der Hautkontur“. Es gab gleich zwei ziemlich vertrauenerweckende Plastikbüchsen für einen – nun ja – erschwinglichen Preis. Büchsen, wie Pferdesalben, aber links eben kein Pferd, sondern eine kopflose Lady im weißen Kleid, die ihre Beine samt einem Oberschenkel zeigte. Ich griff zu. Am nächsten Tag – ich bin prime-Kundin – erreichte mich das Gel mit dem Powerwirkstoff und einem „angenehmen Wärme-Effekt“ sowie erfrischendem Duft.

Ich dachte so, erstmal duschen, dann cremen. Und das tat ich. Ja. Die roch gut, diese Kräutercreme. Doch wie soll sie die „hässlichen Dellen und Wellen“ beseitigen und – ich spoilere keck – das tat sie auch nicht. Täte sie es, wäre auch dieses Angebot bei Amazon im nächsten Monat perdu.

Aber, und jetzt das Grand Malheur: Sie feuerte nach so ca. fünf Minuten los. Ich hatte im Bad bereits leichte Atembeschwerden, überlegte, ob das jetzt der Herzinfarkt ist, den meine Panikattacken seit Jahren herbeisehnen. Und die Pferdetinktur – oder was das auch immer war – feuerte weiter. Es nahm mir den Atem. Ich wankte ins Wohnzimmer und setzte mich auf einen Sessel, um mir mit einer romantischen Netflix-Serie die Zeit etwas abzukühlen. Es feuerte weiter und erfasste Bauch, Po und vor allem die Oberschenkel, hinten, auf denen ich ja nun saß. Ich dachte, lass es brennen, während das glückliche amerikanische Kleinstadtpaar sich im Bett wälzte. Lass es brennen, es ist ja für einen guten Zweck. Die Arme begannen ebenfalls. Die Hände gar samt Handinnenflächen. Ich googelte, ob schonmal jemand beim Cellulite Bekämpfen mit Kräutercreme das Zeitliche gesegnet habe. Google war ratlos. Ich auch. Das musst Du dann halt durchstehen, überstehen, Kopfstehen, nahestehen, verstehen, ach, ich dachte gar an stand with Ukraine, wie pietätlos! Was sind schon Dellen und Wellen, ach was sind sie schon! Was ist ein Scheiterhaufen der Schönheit gegen eine Jeanne d`Arc, die es wenigstens für eine gute Sache nicht überstand!

Aber ich. Ich überstand mal wieder. Kühlte nach ca. einer halben Stunde ab. Nur die Hände konnten lange nichts ergreifen. So ergreifend war das. Weniger ergreifend – das Ergebnis. Wie kann ich als gestandene Frau auch immer wieder glauben wollen, dass irgendeine Mischung die perfekte ist. Wie konnte ich!

Eins steht fest: Ich werde es wieder tun. So ein heißes Ding ist doch auch was Wunderbares, oder?