Meinem Sohn Ben Gläser – ideensprudelnder Berserker und ein tatsächlicher Gutmensch – zum Geburtstag

Oft werde ich gefragt, wer ist eigentlich dieser dritte Sohn? Man sieht ihn nicht – er ist Internetscheu – man weiß nichts von ihm. Ist er mein Geheimnissohn? Nicht ganz. Aber ein bisschen. Über Robert und Moritz habe ich bereits ausführlich geschrieben. Heute soll es Ben Gläser sein. Vorher ein kleiner Ausflug in die Welt des Geborenwerdens.

Heutzutage machen werdende Väter Windelkurse und lernen das hektische Mit-Atmen. Damit sie bereitstehen können – im Kreißsaal, wenn es um die letzte Phase geht. Ich rate immer wieder jungen Frauen, keinen Vater mit in einen Kreißsaal zu nehmen, da gehören sie nicht hin. Es ist Frauensache. Wenn ich Müttern, die nicht auf mich hörten, nach ein paar Jahren sage, warum ich das für besser halte, antworten sie mir: Ach deswegen! Jetzt verstehe ich das! Du hattest Recht.

Doch ist das nicht die Geschichte, die ich erzählen will. Jetzt erzähle ich die Geschichte meines Sohnes Ben, der Ende der Siebziger geboren wurde und zwar mitten in der Nacht. Es war in einem Leipziger Krankenhaus. Die Hebammen waren nach DDR-Art sehr streng und befahlen mir, meine lackierten Fingernägel abzuschneiden. „Lackierte Fingernägel gehören nicht in den Kreißsaal!“. Weil ich protestierte, ließen sie mich spüren, was es bedeutet, unfreundliche Geburtshelfer um sich zu haben (und keinen liebenden Mann, der selbstverständlich in dieser Nacht auf Mugge war). Es war die schlimmste und demütigendste Geburt, die ich erlebt habe.

Am Morgen gab es einen Lichtblick: Der Krankenwagenfahrer, der mich und noch ein paar Frauen, die in dieser Nacht Kinder zur Welt gebracht hatten – in der DDR wurden zu dieser Zeit viele Kinder geboren – in ein anderes Krankenhaus transportieren sollte, erkannte mich als die Frau von „Cäsar“, dem in Leipzig damals stadtbekannten Musiker. „Lasst uns bei Euch zu Hause schnell vorbeifahren? Sagte er und ich sagte ja. Und so hat Peter Cäsar Gläser seinen frisch geborenen Sohn Ben am Morgen, als er auch gerade nach Hause gekommen war, gleich anschauen müssen. Sehr verschlafen und erstaunt. Eingewickelt in eine Silberfolie. Bens acht Jahre älterer Bruder Robert ging gerade zur Schule. Er und seine Freunde schauten ebenfalls auf das Silberwickelkind. Robert meinte spontan: Der sieht ja aus, wie eine Bratwurst!

Ja, Ben hatte bereits einen großen Bruder. Es folgte noch ein kleiner. Ben ist also Mittelkind. Manche sagen, die wissen nicht, was sie sind. Sind nicht der Große. Sind nicht der Kleine. Sie sind die Mitte. Ich finde das gut. Und Ben findet es nunmehr auch ok. Er ist ja ein gestandener Mann. Ben ist sogar der Mann, den ich mir aussuchen würde – so als Begleitung, Beschützer und Ideengeber – wenn ich durch die Hölle gehen müsste. Ben und kein anderer.

Ben ist der Berserker. Ben ist der Ideenmensch. Er hat so viel Kraft, dass er manchmal nicht weiß, wohin damit. Es könnte ein (meist nur leichter) Wutanfall über all das Leid auf der Welt sein, ein Trommeln auf den Tisch oder – er tut etwas. Er muss in Bewegung sein. Er betet die Bewegung an. Ben ist ein Techniker, ein (Überlebens)Künstler, ein Handwerker, der einfach alles kann, steter Umzugshelfer für alle Freunde und Verwandten, ein Billardspieler. Das ganz besonders. Und manchmal auch ein Gitarrenspieler. Ben ist der großgewachsene Mann mit den vielen Träumen. Manche hat er sich erfüllt. Andere (noch) nicht. Ben ist der stets sprudelnde Ideenquell. Ben ist ein Multikulti-Mensch. Er kommt mit den schwierigsten Mitmenschen aus, weil er keine Angst hat, weil er in Kreuzberg aufgewachsen ist, weil er ein High-School-Jahr in Amerika hinter sich gebracht hat, weil er in Berlin-Neukölln zu Hause ist. Er arbeitet in einem festen Job, macht keinen Lohnsteuerjahresausgleich, weil das Geld, das er zurückbekommen würde, doch für Kindergärten und Straßen besser angelegt sei, regt sich nicht übermäßig auf, wenn in sein Auto eingebrochen wird und sein gesamtes Werkzeug geklaut wird. Er lebt in Berlin-Neukölln. Und das immer noch gern.

Im Frühjahr war er über Nacht auf einem großen Flughafen im asiatischen Raum im Wartemodus. Er schreibt mir, dass er – und seine Freunde – die ganze Nacht dort ausharren müssen. Ich schreibe: Passt auf Euch auf und lasst Euch nicht beklauen! Er schreibt zurück: Wenn, dann klauen wir! – So ist er. Ich liebe meinen Sohn Ben, so wie er ist, weich und hart, liebevoll und verrückt.

Ich habe einen alten Garten geerbt, der so verwildert war, dass ich ihn nicht in den Griff bekommen hätte, weil ich zu alt, nicht so von Bewegungsdrang besessen und leider auch viel zu chaotisch bin, um so etwas umzuwandeln in die Oase, die Ben mit Freundin Jasmin daraus im Frühjahr des vergangenen Jahres gezaubert haben. Mit viel Arbeit und Enthusiasmus. Auch das alte Haus wurde ausgemistet, aufgeräumt und wohnlich eingerichtet. Es war meine Freude des Jahres 2022. Und sie ist es immer noch. Im Garten sitzen und ins Grüne schauen, drückt meinen Blutdruck, der aus anderen Gründen des Öfteren steigt, in die Sphären eines jungen Mädchens. Und ich sitze und freue mich und kann ihm nicht genug danken.

Kurzum. Ich wohne nicht mehr in Berlin. Ben ist nicht oft da. Aber wenn es nötig ist. Er ruft mich jeden Silvester um 24 Uhr an und sagt jedes Jahr, dass ich die beste Mutter der Welt bin. Wenn ich mal so alt bin, dass ich gar nichts mehr kann… weiß ich, dass er da ist.

Heute Nacht gegen zwei Uhr hat mein Sohn Benjamin Geburtstag.

Foto: Peter und Elisabeth Gläser kurz vor Bens Geburt/ Leipig 1979.