Ich Elisabeth Koeppe – Eine vom rbb

Bei den Öffentlich-Rechtlichen muss sich etwas ändern! Wird es aber nicht, weil eine Krähe der anderen nicht die Augen aushackt. Es sei denn, ein entscheidender Dominostein stürzt und reißt alle mit sich. Das wird – noch – nicht passieren. Es hängen zu viel und hängt zu viel dran. Schon allein, dass der ÖRR die kostenlose Achteinhalb-Milliarden-Pressestelle der GrünRoten ist, wird alle im Moment mächtigen Politiker auf den Plan rufen. Das muss erhalten werden! Nur ein bisschen reformieren. Ansonsten ist doch alles prima. Ein paar Köpfe werden rollen, nicht die entscheidenden. 

Ich erwarte nichts. Es gibt zu viele, die sich in diesem System öffentlich-rechtlicher Rundfunk eingerichtet haben. Ich weiß, wovon ich rede. Weil ich auch gern eine Sicherheit in diesem System gehabt hätte. Es ist kommod und nervenschonend. Eine feste Stelle im ÖRR ergattern, ist, wie ein Beamtenverhältnis anzutreten oder aber ein Hauptgewinn im Lotto. Ein Hauptgewinn, der monatlich, aber verlässlich, ausgezahlt wird. Egal, was man tut. Auch, wenn man gar nichts tut. 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Klassensystem. Menschen erster und Menschen zweiter Klasse. Die Festen und die Freien. Die Festen sind die „Beamten“. Die Freien wiederum teilen sich in die gut Verdienenden, Moderatoren beispielsweise, in die große Masse, die tagtäglich ackernd ums Überleben kämpft, und – in die „Hungrigen“. Sie stehen zu Tausenden vor den „Anstalten“ (des öffentlichen Rechts) und verlangen Einlass. Dafür sind sie bereit, alles zu tun. Bis zum Umfallen arbeiten und alles nachplappern, was der woke Irrsinn gerate gebietet. Heutzutage auch noch Gendern bis zur Lächerlichkeit. Meist oder letztlich glauben sie es wirklich, was sie da reden und schreiben. Das Ziel: Verlässlicher Einlass und später – Festanstellung. 

Wenn man nicht gerade mit jemandem aus dem System verwandt oder verschwägert ist, ist der Weg lang und beschwerlich. Einige schaffen es, es sterben ja auch ab und an welche in den oberen Rängen bzw. sie gehen in Rente. Es werden also (zunehmend weniger) Plätze frei – für Günstlinge und Angepasste, für außerordentlich Begabte ganz ganz selten auch. Die Freien sind die Verschiebemasse, mit der man (fast) alles machen kann. Es gibt mutige Freie, begabte Freie, fleißige Freie, auffällige und unauffällige. Viele scheiden wieder aus, weil die Aussichten mies sind und flüchten sich auf Pressestellen oder in Partei-, NGO- und Verwaltungsapparate. Einige wenige gehen den Weg in die wahre Selbständigkeit. 

Woher ich das alles weiß? Ich war eine Freie. Von Oktober 1998 bis Dezember 2020. Ich habe alles erlebt. Die (Selbst)Ausbeutung. Das Netzwerken. Das Rausgeschmissenwerden bei dem einen Sender. Das wieder Neuanfangen bei einem anderen Sender. Arbeiten bis zum Umfallen für anfangs wenig, später etwas mehr Geld. Niemals so viel, wie ich wirklich verdient hätte. Ich habe geschwiegen. Ich habe gelogen. Ich habe ab und an gesagt, was ich denke. Ab und an. Ende 2020 habe ich die Reißleine gezogen, als man mir ein Angebot machte, das ich ablehnen konnte. 

Ich habe all meine Kenntnisse und Erkenntnisse zunächst beim ORB (Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg) in Potsdam, später beim rbb in Berlin gesammelt. Ich befand mich im Auge des Taifuns. Der hieß erst Rosenbauer. Dann Reim. Später Schlesinger. An Rosenbauer kann ich mich kaum erinnern. Reim hatte auch ihre Günstlinge und machte sich noch rechtzeitig aus dem Staub. Schlesinger fiel mir dadurch auf, dass sie einen Rattenschwanz aus dem NDR, aus dem sie kam, hinter sich herzog. Die NDR-„Beamten“ bewarben sich bei uns und wurden eingestellt. Die Vorgänger mussten gehen oder gingen von selbst – falls der Ruhestand nah war. Schlesinger war eben – eine Intendantin. Das machen die auch beim Theater oder in der Oper so, dass die neuen Intendanten – sie haben den gleichen Namen – ihre Vertrauten mitbringen und die anderen gehen müssen.

Eine kleine Arbeitsameise, die ich war – ich schrieb täglich ein Zweiminuten-Rätsel und in der Woche ca. zehn bis fünfzehn Programmtrailer, organisierte noch alles drumherum: Preise für die Rätsel, die Moderationsanweisungen und die Produktion von alledem – bekam nichts davon mit, was Schlesinger und Co. so trieben in ihrem Elfenbeinturm. Es war das „Hochhaus“. Wir Rundfunkleute saßen im Rundfunkhaus, auch an der Masurenallee. 

Zu Belegschaftsversammlungen waren Freie nicht zugelassen. Ich habe mir im Laufe der Zeit abgewöhnt, irgendwelche Versammlungen oder Meetings, wie sie später hießen, zu besuchen, zu denen auch die Freien kommen durften. Ich wusste sehr schnell, dass ich an diesem System nichts ändern werde. Ich gehörte nicht zu den Mutigen. Zu den Kämpfern. Denn die gibt es unter den Freien. Ich hätte mich „einklagen“ können, eine Möglichkeit, die solchen Freien, wie ich eine war, noch geblieben wäre, wenn auch da nicht der rbb mit seinen Anwälten schon alle Riegel vorgeschoben hätte, die nur möglich waren, um die Mutigen, die diesen Weg gingen, es gab auch diese, einzuschüchtern und sie – im wahrsten Sinne des Wortes – fertigzumachen.

Einmal habe ich mich auf eine feste Stelle beworben. Es gibt wenig Freie, die das gern und ausschließlich wären, immer hat man die ausgeschriebenen Stellen im Blick. Die Angst, eines Tages vor die Tür gesetzt zu werden, ist groß. Und in den letzten Jahren wurde sie immer größer. Ich bewarb mich auf die Stelle „Leiterin künstlerisches Wort“. Und wurde tatsächlich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Ein Insider, damals bereits in Rente, sagte zu mir, als ich ihm von dem bevorstehenden Vorstellungsgespräch erzählte: „Da haben Sie keine Chance!“ – Ich: „Wieso nicht?“ – Er: „Sie haben doch keine Lobby!“ – Ja. Ich hatte keine Lobby. 

Die Angst, vor die Tür gesetzt zu werden. Bei mir war sie in den Nuller-Jahren so groß, dass ich ständig Panikattacken hatte und mich nur noch mit Beruhigungstabletten in der Arbeit hielt. Ich habe diese Zeit ohne jegliche Krankschreibung unter Aufbietung all meiner Kräfte überstanden. Ich ging jede Woche zu einem Psychotherapeuten. Das Ergebnis: Existenzangst. Pure Existenzangst. Freie sind nicht frei. Sie haben Existenzangst. Und das zurecht.

Dass ich es dann schaffte, noch weitere fünfzehn Jahre in diesem System als Freie zu bestehen, war kein Glück. Das war Arbeit. Sehr viel harte Arbeit.

Ich erzähle das, weil es mich ärgert, dass jetzt der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Ganzes schlecht gemacht wird. Der ÖRR ist kein Gebilde. Der ÖRR ist nicht Schlesinger oder Buhrow. Der ÖRR – das sind Menschen. Zweierlei Menschen. Die Hälfte sind Verwaltungs- und Managerbeamte. Ein kleiner Teil der Festangestellten ist auch in den Redaktionen tätig. Da gibt es – wie überall Fleißige und (sehr) Faule – weil sie es können. Aber der größte Teil, der Teil, der das Programm macht, sind die Freien. Würden sie für schätzungsweise einen Monat alle, und ich meine ALLE, nicht mehr zur Verfügung stehen, wäre das gesamte Gebilde Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk lahmgelegt. Programmlich. Es würde zumindest nichts Neues entstehen und auch die Moderatoren wären alle weg. Denn auch sie sind allesamt Freie. Wie ich schon sagte: Es gibt solche und solche. Auch bei den Freien. Auch da ein Klassensystem. Man kann sich auch in dieser Sparte hochdienen. Allerdings immer mit der nagenden Angst, vom Sockel gestürzt zu werden. Eine Angst, die produktiv oder aber eben angepasst macht. In den letzten Jahren eher das Zweitere. Jeder muss seine Miete und seine Brötchen bezahlen. So ist das eben.

An dieser Stelle beende ich meine Plauderei „aus dem Nähkästchen“. Ich wollte nur das „System“ erklären. Gottseidank nunmehr aus der Außensicht mit Innenkenntnis. Wäre ich noch eine Freie, hätte ich das hier nicht geschrieben bzw. veröffentlicht. Die Frage, warum nicht, erübrigt sich. Lesen Sie noch einmal von vorn.

Geburtstage – Peter Cäsar Gläser zum 73.

Wenn er Geburtstag hatte, war immer irgendwie „die Luft raus“ so nach den „Feiertagen“ – deshalb hatten wir beschlossen, dass wir stets das Prinzip einhalten, niemanden am 7. Januar einzuladen. Wer dran denkt, kommt, wer nicht, eben nicht.

Einmal saßen wir mit all dem Essen und dem Wein da und es war schon um neun Uhr Abends. „Es hat wirklich keiner daran gedacht“, sagte er. Ja, und es klang traurig. – „Es wird schon noch irgend jemand kommen“ – antwortete ich, hatte aber auch langsam meine Zweifel. Kurz darauf ging die Tür auf, wir hatten ja immer eine offene Tür, und die ersten Gäste standen da. Ich weiß nicht mehr, wer das war, nur noch, dass es einer der größten Geburtstage wurde, die „uneingeladen“ passierten. Heute wäre er 73 geworden. 

Peter „Cäsar“ Gläser – 7.1.1949 – 23.10.2008. Es würde ihm gefallen, wenn heute viele an ihn denken. Denn ohne die „Vielen“ fühlte er sich nie richtig wohl…

Foto um 1984

Weihnachten in Familie

Den Weihnachtsmann hab ich nie gesehen. Ich hörte ihn immer nur klopfen. Vermutlich klopfte mein Vater heftig an die Küchentür, scharrte mit den Füßen und dann ging er. Der Weihnachtsmann. So sollte ich glauben. Ich aber machte mir Gedanken, wie er hineinkommen ist. Nur kurz. Denn jetzt kam die Bescherung! Für die wir unsere Sonntagssachen anzogen. Ja, in meiner Kindheit gab es diese besondere Kleidung, die den Sonntagen vorbehalten blieb.

Ich vertrieb mir den ellenlangen Heiligabend-Tag meist mit Fernsehen. Es gab – natürlich im DDR-Fernsehen – die extralange Sendung mit Meister Nadelöhr, dem Briefträger und dem Schneemann. Sie unterhielten sich meist über irgend etwas, was ich nicht so gern sah. Aber Filme! Es gab vorzugsweise Trickfilme. Am liebsten sah ich Zeichentrickfilme. Die waren am seltensten. Weniger gern Puppentrickfilme, die waren mir zu langsam. Noch weniger gern Scherenschnittfilme, die waren mir zu schwarz-weiß und oft auch irgendwie gruselig. Dennoch freute ich mich jedes Jahr auf diesen langen Nachmittag in der „Schneiderstube“. So viel Zeichentrick war sonst das ganze Jahr nicht.

Gegen 17.00 Uhr beendete meine Mutter diese Weihnachtsvorfreude mit dem Ruf: Bescherung! Dann legte sie noch schnell die Schallplatte mit dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach auf und wir durften „rein“ – ins „Arbeitszimmer“, dort fand die Bescherung statt, während meine Mutter das Weihnachtsoratorium enthusiastisch dirigierte.

Geschenke, an die ich mich erinnere, waren ein Puppenhaus mit Beleuchtung und Möbeln. Und natürlich Puppen. Ein Kaufmannsladen mit Kasse und kleinen Waschmittelpaketen. Immer wieder viele Kinderbücher und – zu dieser Zeit nicht so beliebt – Pullover, Hosen, Kleider oder Schals und Mützen. Das schönste Geschenk meiner Kinderzeit waren ungefähr fünfzehn (alte) Puppen, für die meine Großmutter neue Kleidung genäht hatte. Kleider, Röcke, Blusen, Mäntel, Mützchen und Unterwäsche. Sie saßen alle nebeneinander auf dem Schrank und warteten auf mich. Unvergesslich schön! – Später wollte ich selbst Kleider, Röcke, Mäntel, Mützen und Unterwäsche. Und Bücher, Bücher, Bücher.

Lesen war schon als Kind meine Lieblingsbeschäftigung und ist es bis heute geblieben. Was wir am Heiligabend gegessen haben, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall setzte sich mein Vater immer schnell in die Küche ab und saß vor dem Ofen und beobachtete die Gans und später die Pute mit „siebenerlei“ Fleisch, von dem zu Schwärmen meine Mutter nicht müde wurde. Sie war ja auch unser liebstes DDR-Propagandaopfer. Denn Puten sollten wir lieben, weil Gänse knapp waren, zu dieser Zeit. Die Pute also – gab es erst am nächsten Tag. Mir hat so eine DDR-Pute nie sonderlich geschmeckt. Und als ich erwachsen war, wechselte ich wieder zu Gans oder Ente.

Tradition war es bis zu Corona, dass sich die ganze Familie zu Weihnachten – entweder bei mir oder meiner Schwester – trifft. Oft kamen noch Freunde hinzu und Freunde der Kinder. So ist es schon passiert, dass wir um die fünfzig Weihnachtsfeierer waren. In diesem Jahr sind wir Corona-Menschen, die sich zur Heiligen Nacht an verschiedenen Orten versammeln. Ich bleibe, wo ich bin und hoffe auf andere Zeiten.

Zurück zu den Zeiten des ahnungslosen Glücks: Gestritten haben wir nie – obwohl wir eine sehr diskussionsfreudige Familie sind. Einmal – das war noch in Leipzig – brachte meine Mutter ihren neuen Mann mit. Peter und ich schauten in der Küche in die Röhre nach der Gans und sie fiel heraus – aus dem Ofen – auf den Teppich. Wir hatten ein paar Tage zuvor die komische Idee, in der Küche einen Teppich auszulegen. Den konnten wir nach diesem Fettsturz entsorgen. Der Neue war total verblüfft, dass wir alle nur lachten. In seiner Familie wäre so etwas der Beginn eines schrecklichen Abends gewesen, meinte er. Außer, dass ein Schwibbogen abbrannte, kann ich mich an nichts Schreckliches erinnern. Und denke gern an all die Weihnachtsfeste und besonders auch an die, die nicht mehr unter uns sind. Ich hoffe, dass spätestens 2022 wieder ein Fest meiner Familie wird. Wenn es – nach Datenlage – auch ein irrationaler Wunsch ist…

Deine erste Candy vergisst Du nie – Waschen im kafkaesken Raum oder Waschmaschine leben nicht so lang II

Deine erste Candy vergisst Du nie.

Sie war meine Waschmaschine. Ich besaß sie genau drei Tage, dann riss das Ablaufventil. War Candy zu ungestüm? Nein! Sie wusch solide und bewegte sich nicht mehr als andere – Waschmaschinen. Materialfehler im Plastikventil? Ich rief bei Amazon an – Sie erinnern sich – die wollen das servicefreundlichste Unternehmen der Welt sein. Eine nette Telefon-Dame: Nein, wir reparieren das nicht. Das könnten Sie selbst tun, dafür geben wir einen Preisnachlass. Ich kann das aber nicht! – Dann holen wir die Maschine ab und Sie bestellen sich eine andere. Diese Candy haben wir im Moment nicht. Ich überlegte. Eigentlich dumm, die Maschine, die ganz und gar in Ordnung ist, abholen zu lassen… alte 80er-Umweltbedenken bemächtigten sich meiner. Nicht stark genug. Die Amazon-Dienstleisterin war stärker. Wir holen die Maschine am 13. Dezember. Gesagt. Getan. Am Montag war sie weg. Meine Candy. Die mit der wunderbaren Tür! Ja, diese Tür war sanft selbstschließend wie eine geplante Musterküche. Candy adé, ich werde Dich nicht so schnell vergessen.

Doch das Leben geht weiter: Vielleicht mal sehen, was Quelle hat? Oder das, was davon übrig ist. Privileg! Da fielen mir meine Neunziger ein. Was hatte ich nicht alles von Privileg! Fast alles von Kühlschrank bis Toaster. Quelle ist längst dahingeschieden, Privileg hat überlebt. Privileg-Waschmaschinen haben gute Bewertungen bei Amazon. Nicht so viel Schnickschnack, macht was sie soll. Das will ich auch. Bestellt – Privileg. Natürlich bei Amazon, auf die Gefahr hin, dass ich wieder die Herren des Schweigens für den Anschluss geschickt bekomme. Gleich Mittwoch. Also gestern. Zeitfenster 7-19 Uhr.

Das Fenster öffnete sich bereits um 8.30 Uhr. Es spazierten wieder zwei Facharbeiter aus Nahost herein. „Oh, habe schöne alte Schrank! Habe ich auch. Wollen verkaufen? – Nein wollen nicht! Is gut. Wo ist alte Waschmaschine? Schon weg. Ah, schon weg! Auch gut. Der Ältere unterhielt mich, während der Jüngere sich an der Privileg zu schaffen machte. Schnell waren sie fertig, probierten die Neue. Machten keinen Durchlauf, wie die Candy-Schweigsamen von vor drei Wochen, sie knipsten sie aus und an und wollten gehen.

Ich aber – sah zum Ablaufventil. Es hatte einen Riss. Es war mein altes kaputtes Ablaufventil! – Sie haben das alte Ablaufventil, das dummerweise noch auf dem Küchentisch lag, einfach wieder eingebaut! Ich sagte: Dieses Ablaufventil ist kaputt. – Wieso? Geht doch? – Aber es tropft. Es hat einen Riss. Dieses Ventil ist der Grund, weshalb die Vorgänger-Maschine wieder abgeholt wurde. – Ich erzähle die Geschichte. Sie sehen mich staunend an. Kannst Du wechseln, kaufst Du neues in Baumarkt. – Ich möchte, dass Sie mir eine funktionsfähige Maschine mit einem neuen und nicht kaputten Ablaufventil hinstellen. – Wir haben keine andere Ventil. – Was hätten Sie denn gemacht, wenn das alte kaputte nicht auf dem Tisch gelegen hätte? – Hätten Maschine nicht anschließe könne. Wir keine Ventil HABE. – In diesem Fall müsste Amazon mir aber vorher mitteilen, dass Monteure kommen, die kein Ablaufventil haben und deshalb die Maschine nicht anschließen, wie vereinbart und bezahlt. Die Monteure der Vorgängerwaschmaschine hatten doch auch ein Ventil dabei. Die waren auch von Amazon. – Die waren vielleicht Hamburg. Wir sind Hannover. – Oh, aha, nehmen Sie bitte die Maschine wieder mit. Mit dieser kann ich nichts anfangen, ich habe einen funktionierenden Anschluss bezahlt. – Das geht nicht, wir sind für bringen. Nicht für abholen. Gehen Sie in Baumarkt und holen neue Ventil. Ist einfach anbauen. – Sie zeigen, wie einfach. Es ist einfach. Es ist ärgerlich. Sie gehen. Ich bin auf dem gleichen Stand wie mit meiner legendären Candy. Ich habe eine neue Waschmaschine mit kaputtem Ventil. Privileg. Alles umsonst. Ich rufe bei Amazon an. Neue freundliche Telefon-Dame. Gleiche Auskünfte. Es ist kafkaesk. Ich drehe mich verbal und konkret im Kreis, nehme den Preisnachlass und mach mich auf die Suche nach einem Ablaufventil. Das richtige Ventil gibt’s nach Auskunft von Frau Google nur im MediaMarkt, da kann ich nicht rein. 2G. Also wieder Amazon, machen wir die Plattformökonomie stark. Gestern bestellt. Heute da. Eingebaut. Die Privileg läuft wie eine Gebirgsquelle. Hoffentlich ab. Ohne zu tropfen. Mit Privilegien kann man sich anfreunden, nicht wahr! Auch wenn die Tür nicht so geheimnisvoll anschmiegsam ist.

Herzens-, Schmerzens- und Feuermann – meinem Sohn Robert Gläser zum heutigen Geburtstag

Mein Sohn Robert Gläser ist – astrologisch gesehen – ein Dreifach-Schütze.

Kein leichtes Leben mit so viel Feuer. Sowohl für ihn, als auch für die anderen, die ihn umgeben. Ein schwer erziehbares Kind, hieß das in der DDR. Ein besonderes Kind – sage ich. So verweigerte er konsequent sozialistische Beschulung. Und widmete sich dem, was er für richtig hielt. Das hieß zu Beginn „Hexenschuss“, später „L’Attentat“, dann „Reininghaus“ und noch später „Cäsar und die Spieler“. Erst Schlagzeug (da bin ich ja nur hinten auf der Bühne!), dann Bass (besser, der hat nur vier Saiten), auch mal – und nunmehr verstärkt – Singen. Eine Botschaft haben. Videos drehen. Und das sehr gut. Am besten gefällt mir, wie er mit einer Axt durch die Karl-Marx-Allee läuft. Wer ihn kennt, weiß, dass das nicht bedrohlich enden kann. Der Song heißt: „Weißt Du, was Du bist?“ Großartig.

Robert suchte und sucht. Gründete Bands wie „De Buffdicks“, wie war das irre, und trat im roten Minirock auf, der auch mal beim „Springen“ auf der Bühne „Dinge freilegte“ (wow). Verrückt, dieses Kind. Unbezähmbar, unbezahlbar, unbeirrbar. – Was mir schnell auffiel, war sein ganz spezieller Humor. Als ich zu Beginn der Achtziger einmal ein neues sehr rotes Kleid erstand, führte ich es ihm vor, als er – als Zehnjähriger – in der Badewanne lag. Und ich fragte: Wie findest Du das? – Er: Naja, nicht schlecht, wenn Du mal zum Stierkampf gehen willst! – Als Zwölfjähriger konnte er alle in seiner Umgebung parodieren, so dass wir vor Lachen „ins Essen fielen“. Damals rieten wir ihm: Du musst Schauspieler werden! Doch war ihm das Auswendiglernen von Goethe-Texten für die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule zu langweilig, zu anstrengend oder eben – zu überflüssig. Er wollte doch viel lieber Musiker werden. In unserer Familie wurde man Musiker oder – nichts.

Oft habe ich mir Gedanken gemacht – über dieses ungewöhnliche Kind. Oft habe ich mir Sorgen gemacht. Egal – viele Jahre später schenkte er mir meine Enkelin Annamaria und – noch später – meinen Enkel Mio. Enkel sind für mich noch immer etwas Besonderes, während Robert das Vatersein früher weniger und heute sehr ernst nimmt. Er liebt seine Kinder und er liebt es, Kinder zu haben. Und er hat einen ausgeprägten Familiensinn, der mich ab und an sogar nervt. Immer an Weihnachten möchte er die Familie zusammenhalten und natürlich müssen alle dabei sein. In diesem Jahr wird das – wie im vergangenen Jahr – nicht gelingen. Auch unsere Familie zerstreut sich. Da ist man sich nicht grün wie ein Weihnachtsbaum. Da ist man nicht Corona-like, da ist der eine dort und der andere da. Wir sind einfach zu viele. Und genau am runden Geburtstag von Robert wechselt die bleierne Regierung in eine – nun ja – andere. Wir werden sehen. Wir – das Land. Wir – die Familie. Er – unser Robert – das Problemkind. Unser Robert – das Stehaufmännchen. Unser Robert – der Unentwegte. Unser Robert – der Mann wie ein Baum. Unser Robert – der immer den Humor behält. Unser Robert – der auch verzweifelt sein kann, aber man merkt es kaum. Unser Robert – der zum Unterhalter für Jung und Alt geboren ist. Unser Robert – der mit Kirsten endlich die Frau hat, die mit seinem ungestümen Wesen umgehen kann.

Was er uns alle gelehrt hat? Es gibt nichts Wichtigeres, als die Familie. Es ist egal, was Du tust, tu‘ es! Niederlagen gehören zum Leben. Wir können sie als Chance begreifen. Erfolg ist meist ein kurz währendes Glück. Dann geht es weiter. Glück ist fragil. Die Liebe ist ewig. – Robert ist ein Reisender, immer auf der Suche nach dem Glück und der Liebe.

Wir lieben Dich, Robert, ohne Dich wäre unsere Familie undenkbar. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein lieber Sohn! Herzlichen Glückwunsch unserem einzigartigen Robert!

P.S. Ich vergaß – Robert ist ein begnadeter Koch!

P.P.S Heute hat auch mein Enkel Tamino Geburtstag.


Foto: Robert (16)

Waschmaschinen leben nicht mehr lang oder – wie die neue zu mir kam

Ich liebe amazon. Und zwar nicht erst, seit Jeff Bezos der gefühlt oder tatsächlich reichste Mann der Welt ist. Ich hab da schon Bücher gekauft, die es sonst nicht gab, als es nur ein Buchversand war. Und so bin ich eine amazon-Veteranin der ersten Stunde. Letzte Woche wagte ich den Kauf einer Waschmaschine. Leider hab ich sowohl bei den einschlägigen Märkten, in die ich ja ohnehin jetzt nicht mehr darf, als auch bei den einheimischen Versandhäusern keine guten Erfahrungen gemacht. Beispielsweise als ich in Magdeburg frisch einzog, mit einer Waschmaschine von Bauknecht. „Bauknecht weiß, was Frauen wünschen!“ – hieß es einst. Ich wollte eine Toplader-Waschmaschine, eine schmale, weil die hier leider in einem Eckchen in der Küche stehen muss. Und kaufte die bei einem Versand. Es kamen zwei dicke böse Männer aus der Region. Brummig gingen sie unverrichteter Dinge und ließen mich unangeschlossen. Sie wussten nicht, was Frauen wünschen. Die beiden Herren wünschten ein Anschlussventil für den Wasserhahn. Das war nicht dabei. Angeblich. Ich kaufte es dann im Media-Markt, nachdem ich recherchiert hatte, wie so ein Ding heißt. Ich verriet es den Verkäufern im MediaMarkt, weil die nicht wussten, dass sie so etwas haben. Ich hatte es auf meinem Handy gespeichert, und zeigte ihnen das Bild aus ihrem Sortiment. Tja, der Fachkräftemangel ist groß in Deutschland. Deshalb haben wir jetzt die neuen Fachkräfte. Und sie würden mit einer Candy kommen – die den alten Bauknecht, der nicht mehr schleudern will, ablösen sollte. Auch ein Toplader, der angeschlossen werden musste. Von 7 bis 19 Uhr. Fast wie in der DDR so ein „Zeitfenster“, wie das neudeutsch heißt. Ich wollte die freundlichen Service-Mitarbeiter von amazon nicht fragen, ob ich damit rechnen kann, dass die Fachkräfte für den Anschluss der Neuen vielleicht meine Sprache nicht verstehen. Ist ja immer so diskriminierend. Insgeheim wusste ich: Es werden zwei hübsche schwarzlockige Herren mit der Candy im Arm dastehen. So wie die, die täglich für amazon die Pakete austragen. Und sie kamen, Klischee hin oder her, und sahen aus, wie gedacht, verliefen sich, wie alle neuen Postboten im Haus, weil sie meine Anweisungen per Hausprechanlage nicht verstanden. Tragen war auch nicht. Sie ruckelten das immerhin elektronisch und sogar mit WLAN Funktionierende in spe mit einer Karre lautstark die Treppen hinauf und traten schweigend ein. Schweigend wurde der alte Bauknecht inspiziert und auf die Karre geladen. Schweigend machte sich der eine an den Anschluss der Neuen, während der andere die Verpackung auf die Karre lud. Der, der montieren sollte, schraubte mit selbst mitgebrachtem Werkzeug eine Weile herum. Schloss den Wasserhahn mit neuem Ventil an. Und auch den Ablauf. Sah alles gut aus. Dann machte er die Probe, in dem er die Maschine laufen ließ. Das Display blinkte verheißungsvoll, das Wasser lief. Gefühlte 20 Minuten Schweigen waren vergangen. Ich fragte keck in die Runde: „Sprechen Sie auch?“. Beide sahen mich fassungslos an. Der Montierende sagte. „Was?“. Der Packende sagte nichts und begab sich mit der Karre in den Hausflur. (Ja, ich kann auch gendern) – Ich fragte: „Gibt es eine Bedienungsanleitung?“ Er: „Was?“ – Ich stellte mit Händen und Füßen eine Bedienungsanleitung dar. Er lachte und reichte mir einen Beutel mit vielen kleinen Heftchen. Kennt man ja. Sie bekamen Trinkgeld. Sie lächelten zum ersten Mal. Der Monteur sagte: „Können schreiben das?“- Ich: „Was?“ – Er zeigte auf ein Protokoll. Ich sollte ausfüllen, dass sie da waren, alte Maschine und Verpackung wieder mitgenommen und die Neue angeschlossen haben. Ok. Mach ich. Sie waren sehr froh – mit Trinkgeld und ausgefülltem Protokoll. Sie liefen zu ihrem Fahrzeug und fuhren zum nächsten Kunden. Ich war Kunde Nr. 5, wie ich auf der von amazon online zur Verfügung gestellten Karte einsehen konnte. Da ist alles drauf, wo sie vorher sind und so. Super. „Wir wollen das servicefreundlichste Unternehmen der Welt sein!“ – so eine Selbstdarstellung von amazon. Ok. Es war ein Erlebnis. Schweigend ins Gespräch vertieft. Ein Schweigecamp am Morgen, zwischen Flur und Küche. Es ist ne „Candy“, was brauchts der Worte mehr! Eine Waschmaschine braucht keine Worte, sie soll waschen. Was ich dann probierte. Kurzprogramm. Schleudern kann sie 1400. Ich nahm mal nur 1000. Als sie so richtig in Fahrt kam, diese italienisch-amerikanische Candy, wie ich ergoogelt hatte, fing die an, sich auf eine Explosion vorzubereiten. Ich musste mich auf sie werfen. Und kann jetzt überlegen, ob ich das Waschkleinod vom Servicefreundlichsten Unternehmen der Welt behalte, mich immer an sie klammere und gleichmal Rüttelplatte trainiere. Oder doch vielleicht zurückgebe? Ich werde morgen den Kundendienst anrufen. Es wird sicher auch ein Erlebnis sein. Man hat ja sonst nichts in diesen Corona stillen Zeiten.

Der verrückte Präsident oder – Der Tag, als die Mauer fiel…

Die Mauer fiel vor 32 Jahren. Niemand hat das geglaubt. Vielleicht ein paar Jahre zuvor ein mir verrückt erscheinender amerikanischer Präsident. Der war ja auch ein Schauspieler, dachte ich damals, als er Mr. Gorbatschow aufforderte, „this gate“ zu öffnen. Er stand vor dem Brandenburger Tor. „Nein, nein, nein, so lange ich lebe, wird diese Mauer stehen. Die Nazis haben kein Tausendjähriges Reich errichtet, aber die Kommunisten werden zumindest ein Hundertjähriges schaffen!“ – dachte ich. Und nicht nur ich. Ich kann heute fragen, wen ich will. Alle ehemaligen DDRler hielten einen Fall der Mauer zu ihren Lebzeiten nicht für möglich. Umso überraschender war es, wie schnell die Ereignisse sich überschlugen. Vor ein paar Jahren fragte mich meine Enkelin Anna: „Wie war denn das damals, als die Mauer fiel? Wer hat damit angefangen?“ – Ich musste zugeben, es nicht genau zu wissen. War es der etwas verwirrt erscheinende Günter Schabowski im Fernsehen bei einer Pressekonferenz? Der schaute auf seinen Zettel brummelte irgendetwas herum, dass jetzt ab sofort jeder… – Irgendwie muss es so gewesen sein. Ich kann mich erinnern, dass ich an jenem Abend des 9. November 1989 zu einem Englischkurs war. Als ich nach Hause kam, saß mein Mann Peter bleich vor dem Fernseher und sagte: „Hast Du es schon gehört?“ Es klang mindestens wie ein: „Weißt Du schon, dass der 3. Weltkrieg ausgebrochen ist?“ – Ich wusste nichts. Und er sagte mir, dass die Mauer offen sei und alle aus dem Osten jetzt hier rein können. Zu uns nach Westberlin. Wir sahen uns die sich ständig wiederholenden Bilder im Fernsehen an. Plötzlich klopfte es. Mein damaliger Schwager, der (geschiedene) Mann meiner Schwester, auch ein Rockmusiker, wie Peter, stand vor der Tür. Ich sagte: „Was! So schnell bist Du hier!“ – Er und auch meine Schwester wohnten im Prenzlauer Berg. Also damals in Ost. „Wieso schnell? Ich habe jahrelang um diesen Pass gekämpft. Heute Morgen musste ich noch umfangreiche Papiere unterschreiben, zum Beispiel, dass ich nicht die Museen des Preußischen Kulturbesitzes besuchen werde. Nun habe ich den Pass! Ab sofort kann ich in den Westen einreisen, wann ich will! Und Euch besuchen!“ Ich begriff. Er hatte das begehrte Dauervisum, das nur Auserwählte in der DDR besaßen. Ein Privileg. Ich begriff auch, dass er nicht wusste, dass sein Privileg nur noch für diesen Tag galt. Nach ihm stürmte der gesamte Osten in den Westen. Auch ohne Visum. Wir versuchten, es ihm klar zu machen, zeigten auf den Fernseher und er wollte es nicht glauben. „Für ein paar Stunden privilegiert, Scheiße!“ Tja, wir gingen dann in Kreuzberg in unsere damalige Stammkneipe und als die ersten Skodas und Trabbis draußen hielten, glaubten wir endgültig, was hier passierte. Nicht im Entfernten ahnend, dass es ein Jahr später eine „Wiedervereinigung“ geben würde. Noch weniger ahnend, dass 32 Jahre später keiner mehr darüber spricht, weil alle mit Impfungen beschäftigt sind und eine Impfpflicht fordern. Willkommen in der großen DDR!

November – Monat des Todes. Monat der Transformationen.

Schön grau heute. November. Nicht, dass ich ihn sonderlich mag, diesen seltsamen Monat der Revolutionen, des Karnevals, des Todes. Den Monat der Nebel und der düsteren Schatten. Auch Sonne hat er im Repertoire, auch Küsse und gefährliche Liebschaften. Hat den Skorpion im Gepäck und beginnt mit Allerheiligen und Allerseelen. Mit den Toten schloss auch der Oktober. Tot die Alte Welt, reformieren wir eine neue Welt! Wie lange die Menschen das schon wollen! Ideen haben, wie man es besser machen könnte und dann die anderen mehr oder weniger erziehen und zwingen, mit dabei zu sein, mit aufzubauen, umzugestalten, einzureißen. Irgendwann werden wir etwas ganz Großes tun! Irgendwann und ganz bestimmt werden wir die Welt retten! Und wer da nicht mitmachen will, wer der „Schönen Neuen Welt“, der Transformation, wie es neuerdings auf allen Kanälen heißt, nichts Erstrebenswertes abgewinnen kann, muss gezwungen werden. Willst Du also nicht mit – in die neue Zeit, dann kämpfe! Dann wehre Dich! Dann schau nicht mehr weg oder zu. Oder geh auf den Friedhof und vergieße heiße Tränen.

Kinder kennen es nicht anders. Sie lieben Halloween, das Fest der Untoten. Das Fest des Blutes und des Grauens. Fest der Kürbisse. In den Neunzigern kam der alte irische Brauch, den die Amerikaner so lieben, auch nach Deutschland. Kinder haben keine Scheu vor den Toten. Sterben? Das passiert den Anderen. Ich bin unsterblich! So denken sie, wie alle Generationen vor ihnen. Und sie feiern den Tod und die Auferstehung der Dahingeschiedenen, ohne es wirklich zu wissen. Ahnen es mit den Jahren immer mehr. Zunächst erst einmal Süßigkeiten einsammeln. Heutzutage nicht wegen einer Tafel Schokolade oder dem Beutel Bonbons. Die sind nicht wichtig. Die sind – wie ihre Mütter ihnen mittlerweile erfolgreich eingehämmert haben – sowieso „ungesund“. Wichtig ist – die Beute! Beute machen, ein menschlicher Urtrieb, der sich an Halloween so unverhohlen austoben kann. Später werden sie mit Gier und Beutemachen vorsichtiger umgehen (müssen) oder es ganz verlernen. Später kommen die Schneeflocken. Fallen vom Himmel als neue Generation, die mit dem Tod nicht umgehen können wird. Die nicht die Urne der geliebten Verstorbenen auf dem Büffet ausstellt, sondern an die eigene Transformation denkt. Transhumanismus als neue elegante Motivation, dem Tod nicht ins Auge sehen zu müssen.

Vom Allgemeinen ins Konkrete: Meine österreichische Freundin meint, dass wir Deutschen, ich auch, immer wieder erstaunt den österreichischen Hang zum Morbiden registrieren. Das wir uns wundern, wie die alles ausführlich und minutiös ausschlachten, was mit Tod und Vergehen zu tun hat. Die genüssliche Beschreibung von Krankheit und Verfall. Die Begeisterung für späteres Liegen in einem Friedwald. Wie sie Beerdigungsmöglichkeiten enthusiastisch ausmalen, als handele es sich um ein üppiges Hochzeitsmenü. Wie dieses Menü im Detail aussehen soll, bitte vor dem Tod festlegen! In allen Facetten. Sonst steht der Hinterbliebene „dann da mit der Leich‘!“ Ich schaudere beim Zuhören. Natürlich werden sie ihr – der Leich‘ – dennoch ein schönes Plätzchen bereiten, damit „sie es schön warm hat – in ihrer Urne auf dem Wohnzimmerbüfett, denn „er mochte es nie kalt und hatte immer kalte Füße.“ – Ja, klar. Das ist herzerwärmend. Leider sind in Deutschland Urnen im Hause der Hinterbliebenen gar nicht möglich. Das ist hier verboten. In der Disziplin des Verbietens macht uns so schnell keiner was vor. Obwohl die Österreicher, wenn es um die Verbotsgeschichten mit den verschiedenen Gs geht, das zur Zeit zumindest nachmachen. Doch weiß ich, sie nehmen es nicht so genau und auch nicht so schwer. Da gibt’s immer ein Augenzwinkern. Das haben sie uns voraus. Dafür liebe ich die Nachkommen meiner Großmutter.

Foto: Ottilie Hartwig

Wir schlugen uns mit den Tücken neuer Word-Programme herum bis zum Exzess – aus meinem sporadischen Tagebuch

Ich bin hier nicht fremd in meinem neuen alten Magdeburg. Ich bin hier in die Schule gegangen. Und die Freundinnen von damals sind noch da. Was für ein Glück! Ich bin hier nicht allein. Nur die Kinder. Und die Enkel. Sie fehlen ab und an. Mit dem 8jährigen bin ich jetzt bei WhatsApp. Schöne neue Welt! Und in den Herbstferien kam der jüngste Enkel und entführte mich in die Welt der Dinosaurier, der ich durch späte Geburt in real entkam. Schleimbasteln, in Dino-Eiern wühlen und Dino-Scheiße kneten. Auf Kreidefelsen herumhacken. Um am Ende ein dürres Plastikgerippe als Lohn zu bestaunen.

Da freu ich mich auf den Tag, an dem er mich nach seinem Musiker-Opa fragt, der gestern nun schon seinen 13 Todestag hatte. Ob ich dann noch Erinnerungen habe, die mitteilenswert sind? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wenn ich die Welt um mich herum betrachte, verändert sie sich rasant, ich sehe zu, wie sich dieses wohlstandskranke Gebilde, das sich so ungern Deutschland nennt, zu einer Art DDR 2.0 entwickelt. Und klar, die sich so aufgeklärt und gutmenschelnd gebärdenden Wessis merken das nicht. Und man kann es ihnen auch nicht erklären. Manchmal braucht der Mensch die Praxis. Oder immer. Und ich habe die Praxis. Wir hier im Osten haben sie. Ich sitze auf meinem Kinositz und schaue dem Schauspiel zu. Mit und ohne Unterwerfungslappen.

Kaum ist der Enkel wieder zu Hause bei Mama und Opa, meldet sich die schon ziemlich erwachsene Enkelin. Kannst du mir bei meiner Hausarbeit helfen? Dieses Mal nicht für die Schule, sondern fürs Studium. Klar, mach ich. Wie immer mach ich das. Und freu mich, die stark erblondete Schönheit zu sehen und in die Arme schließen zu können. Nun ist auch das wieder Geschichte. Es ist Sonntagabend, die Hausarbeit ist fertig. Wir schlugen uns mit den Tücken neuer Word-Programme herum bis zum Exzess. Frau Enkelin kann sehr ungehalten werden, wenn nicht gleich alles klappt. Sie übt schon für die spätere Administration. Business Administration heißt das, womit sie sich nunmehr für ein paar Jahre beschäftigen wird.

Wir essen Wildschweingulasch mit Preiselbeeren und Klößen. Wir schauen die hysterische Serie „jerks.“ mit Christian Ulmen und Fahri Yardim an. Sie findet die „so lustig“. Ich nicht. Vor allem die Serien-Frauen sind für mich wie vom anderen Stern und unsympathisch dazu, so dass ich eher schlechte Laune habe und mich über die Männer wundere, die sich für solche Damen und ihre Dramen interessieren. Die sich von denen herumschubsen lassen und ihre lächerlichen Wünsche erfüllen. Und dieses Ausdiskutieren immerzu. Grauenhaft! Ok, soll ja lustig sein!

Ich bin einfach zu alt. Ich verstehe die Welt, wie sie sich mir im Moment zeigt, nicht, wäre die falsche Schlussfolgerung. Ich verstehe sie ziemlich gut. Nur kann ich es einfach nicht glauben, dass das alles passiert, was gerade passiert. Dass ich so machtlos bin.

Morgen ist ein neuer Tag. Und das Wichtigste ist dann doch, dass mir der Rücken nicht so weh tut wie heute. Und dass ich so ungeimpft bleibe, wie am ersten Tag.

Foto: Anna und ich heute Nachmittag

Das einzige, was sie erregte, war der erstmalige Anblick von echten Kühen auf dem Schöckl.

Das sind Anna – meine Enkelin – und ich nach unserem Besuch in Graz/Österreich. Bei meiner Freundin Agnes. Anna hat uns herausgefordert. Agnes und mich. Denn wir wollten ihr – sie war damals achtzehn – einen schönen Urlaub bereiten. Aber sie fand alles doof. Das einzige, was sie erregte, war der erstmalige Anblick von echten Kühen auf dem Schöckl. Und vielleicht die Seilbahn. Ansonsten wollte sie shoppen. shoppen, shoppen, shoppen. Es war ein sehr heißer Sommer, damals. Immer über 35 Grad. Ich wankte mit ihr durch die Einkaufscenter und kauft ihr, was sie wollte, damit ich endlich nach Hause durfte. Abends schauten wir uns Videos von Miss Bella – der damals angesagten Youtuberin – an. Agnes und ich waren am Limit. Anna sicher auch. Denn wir waren nicht die richtigen Freundinnen. Nach langen Wartezeiten und Wirren kamen Anna und ich endlich irgendwann wieder in Berlin-Tegel – gibts heute nicht mehr – an. Wir mochten uns nicht und sie verschwand in einen Bus und ich in einen anderen. – Aus heutiger Sicht: Es waren dennoch glückliche Zeiten. Es gab kein Corona, keine Impfung, keine Tests. Es gab keine OP-Masken, mit denen wir uns nicht mehr erkennen und wie Bankräuber aussehen. Es gab alles. Und nichts. Es gab einfach Freiheit. Die wir damals noch nicht als Freiheit definierten. Heute sind wir klüger. Es gibt OP-Masken, es gibt Impfzwang – demnächst – es gibt Tests und jede Reise wird uns verleidet. Anna kann nicht zu den von ihr so geliebten Festivals fahren, weil sie nicht stattfinden. „Die versauen mir meine Jugend!“ – Seltsamerweise hat sie die damalige Fahrt nach Österreich als einen wundervollen Moment in ihrem Leben abgespeichert. Alles, was nicht gut war, für sie, hat sie gekonnt verdrängt. Sie möchte „so gern“ noch einmal mit mir nach Graz fahren. „Das war doch so schön!“- So ändern sich die Zeiten.